Kapitel 4.4: Geschlechterforschung als Querschnittsthema oder eigene Disziplin
Die Gender Studies können als interdisziplinäre, erkenntniskritische Forschungsbereiche verstanden werden, die unterschiedliche theoretische und empirische Perspektiven zulassen. Insgesamt überwiegt jedoch die Vorstellung davon, dass Geschlecht als ein soziales Konstrukt begriffen wird.
Autor*innen wie Brand und Sabisch (2019), Laufenberg (2019) oder Hahmann et al. (2020) diskutieren über die Vor- und Nachteile darüber, ob die Gender Studies als eigenständige Disziplin verstanden werden und entsprechend in der Wissenschaft behandelt werden sollen.
Dass sich die Geschlechterforschung als eigenständige Disziplin etabliert hat, zeigt sich durch eigenständige Studiengänge und einer Vielzahl an eigenständigen Lehrstühlen und Professuren in Deutschland: 2019 waren es insgesamt 45 Institutionen und 200 Gender-Professuren. Durch die Etablierung einer eigenständigen Disziplin können Forschungsanträge leichter gestellt werden, da sie sich weniger gegen andere Forschungsschwerpunkte innerhalb anderer Fachdisziplinen durchsetzen müssen.
Gleichzeitig wird jedoch befürchtet, dass die Kategorie Geschlecht als Querschnittsthema in den anderen Disziplinen vernachlässigt bzw. verdrängt wird. Außerdem wird kritisiert, dass ein interdisziplinärer Austausch erschwert werden könnte und Machtverhältnisse (re-)produziert werden können, wenn beispielsweise das Bewusstsein für sexistische Strukturen innerhalb einzelner Disziplinen vernachlässigt wird.
Ein mögliches Ziel wäre also, dass die Gender Studies sowohl als eigenständige Disziplin (z. B. durch die Fortführung und Ausweitung eigenständiger Studiengänge) bestehen kann und gleichzeitig durch spezielle Professuren (z. B. Gender & Informatik) innerhalb einzelner Disziplinen verankert bleibt, so dass ein interdisziplinärer Austausch bundesweit und fachübergreifend fortgeführt bzw. noch ausgeweitet werden kann
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Literaturhinweise:
- Brand, Maximiliane/Sabisch, Katja (2019): Queer Studies. Geschichte, Etablierung und Praxisperspektiven des Studienfachs. In: Kortendiek, B./Riegraf, B./Sabisch, K. (Hrsg.): Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung. Geschlecht und Gesellschaft, Vol 65. Springer VS, Wiesbaden, S. 1043-1051.
- Hahmann, Julia/Knobloch, Ulricke/Plath, Christina (2020): Geschlechterforschung in und zwischen den Disziplinen: Gender in Soziologie, Ökonomie und Bildung (5). Opladen: Verlag Barbara Budrich.
- Laufenberg, Mike (2019): Queer Theory: identitäts- und machtkritische Perspektiven auf Sexualität und Geschlecht. In: Kortendiek, B./Riegraf, B./Sabisch, K. (Hrsg.): Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung. Geschlecht und Gesellschaft, Vol 65. Springer VS, Wiesbaden, S. 331-340.