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KONKRET: Strategie

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Zusammenfassung

Herzlich Willkommen bei Kulturmanagement innovativ KONKRET: Strategie!

In diesem Erklärvideo erläutert der Kulturstratege Dr. Björn Johannsen Innovationen und setzt sie ins Verhältnis zum Kulturmanagement. In seiner differenzierten Darstellung geht er auf Gefahren und Chancen des Innovationsdrucks für Kulturinstitutionen ein und setzt sie ins Verhältnis zu dem von ihm neu formulierten (Kultur-)Strategiebegriff.

Erklärvideo

VIDEO - Kulturmanagement innovativ KONKRET: Strategie

Kurzbiografie

Dr. Björn Johannsen hat Orchesterschlagzeug und Kulturmanagement studiert und wurde am Institut für Kultur- und Medienmanagement Hamburg promoviert. Er ist u.a. als Kulturberater tätig und gründete die Kulturberatung „Fishberg“. Im Jahr 2019 erschien sein Buch „Strategie und Kultur“, in dem er einen neuen Strategiebegriff formuliert. Zu diesem Themengebiet unterrichtet er seit Jahren am Institut und veröffentlicht hier zum Wintersemester 2021/22 seinen ersten Studienbrief: „Strategie und Kulturmanagement“.

Shownotes

Seine Dissertation “Strategie und Kultur. Neue Perspektiven für den öffentlichen Kultursektor” ist erschienen im Transcript-Verlag.

Für die Fernstudierenden des Institut KMM sei hier noch hingewiesen auf den Studienbrief „Strategie und Kulturmanagement“ (Nr. 216-0821), verfasst von Dr. Björn Johannsen.

Podcasttip

Übrigens: Auch in der Podcastreihe Kulturmanagement innovativ KONTAKT ist Dr. Björn Johannsen als Experte zu Gast und erläutert im Gespräch mit Joyce Diedrich und Eva Hüster die Thesen aus seinem Buch “Strategie und Kultur” und seine weiterführenden Gedanken zum Innovationsbegriff.


 Querverweise zu verwandten Seiten

Hier geht's zum Podcastgespräch Kulturmanagement innovativ KONTAKT mit Dr. Björn Johannsen.



Eine Zusammenarbeit mit dem Institut für Kultur- und Medienmanagement (KMM) der Hochschule für Musik und Theater Hamburg (HfMT) und dem Multimediakontor Hamburg (MMKH)

Transkription

Kulturmanagement innovativ
konkret : Strategie
Dr. Björn Johannsen

Wie kommt das Neue in die Kulturinstitution? Eine Antwort auf diese Frage könnte lauten: Das Neue gelangt in Kultureinrichtungen, indem Strategie angewendet wird. Was Strategie genau ist, kann in diesem Video nicht umfassend erläutert werden. Zu umfangreich wäre die Antwort vor allem vor dem Hintergrund, den der Economist in einem Artikel aus dem Jahr 1993 beschrieb: „Nobody really knows what strategy is.“ Daher sollen lediglich wenige grundsätzliche Gedanken zur Strategie geäußert werden.

STRATEGIE
Bringen wir Strategie zunächst in einen Zeitbezug: Strategie richtet ihren Blick in eine Zukunft. Diese Zukunft soll einen positiveren Zustand besitzen als es in der Gegenwart der Fall ist. Wäre dies nicht so, müsste Strategie gar nicht erst angewendet werden. Notwendig dazu sind unter anderem Maßnahmen, Ziele und der Zweck. Zwischen einem Zweck und einem Ziel existiert ein Unterschied, der jedoch häufig vernachlässigt wird.
Für mich gibt der Zweck Auskunft auf die Fragen nach dem Warum und dem Wozu. Erstere wird mit einem „Weil“ und Letztere mit einem „Um-zu“ beantwortet. Das Weil blickt in die Vergangenheit, das Um-zu in die Zukunft. Aus beiden vereint entsteht der Zweck als ein wichtiges Element von Strategie. Und wenn diese Zukunft nicht einfach als Fortschreibung von Vergangenheit und Gegenwart gestaltet werden soll, ist Kreativität erforderlich.

„Kreativität ließe sich demzufolge als die zeitnahe Lösung (Flexibilität) für ein Problem mit ungewöhnlichen, vorher nicht gedachten Mitteln (Originalität) und mehreren Möglichkeiten der Problemlösung (Ideenflüssigkeit), die für das Individuum vor der Problemlösung in irgendeiner Weise nicht denkbar ist (Problemsensitivität), beschreiben.“ (Joy Paul Guilford)

Von ihr ist in der Strategieliteratur an vielen Stellen zu lesen, wenn auch die Ausführungen gering ausfallen. Es wird zwar darauf hingewiesen, dass Kreativität notwendig sei. Wie diese aber geschult und eingesetzt werden könne, wird nicht ausgeführt. Vielleicht ist dies auch nicht verwunderlich: Viele Instrumente, die im Kontext von Strategie eingesetzt werden, reduzieren mit ihren Schaubildern und Tabellen die Komplexität. Übersehen wird dabei, dass beim Denken über Strategie etwas Entscheidendes einbezogen werden muss: die Dynamik. Trotz entsprechend wichtiger Akzente, die in der Literatur auf die Dynamik gesetzt werden, ist sie in der Praxis nicht immer ein gern gesehener Gast. Und so, wie die Dynamik schwer zu fassen und vor allem: zu beherrschen ist, verhält es sich mit Kreativität. Auch sie ist wenig greifbar und es bleibt bei ihrer Erwähnung.
Kommen wir zurück zur Gestaltung der Zukunft. Oder: zurück zum Denken der Zukunft. Kreativ – und wie ich ergänzen möchte: phantasievoll im ursprünglichsten Sinne der Bedeutung von Phantasie als Erscheinung und Vorstellung – muss im Kontext von Strategie nachgedacht werden. Nachgedacht über die Zukunft, die dort zu erreichenden Ziele und die notwendigen Maßnahmen.

„Phantasie ist das Vermögen der Seele, Dinge in der Vorstellung erscheinen zu lassen.“ (Meiner Wörterbuch der philosophischen Begriffe)

Für mich ist das das Blicken in die entlegensten Winkel des potenziell Seienden. Unter diesem Begriff verstehe ich die Gesamtheit aller bereits gedachten und noch nicht gedachten Ideen, die als potenzielle Maßnahmen zur Zukunftsgestaltung möglich werden können. Wichtig ist, dass es Maßnahmen sind, die passgenau mit Zielen harmonieren, die in sich stimmig sind und mit dem Zweck korrespondieren.
Goethe schreibt in seinem Gedicht „Abschied“: „Warum in die Ferne schweifen, siehe, das Gute liegt so nahe.“ Um aber das potenziell Seiende zu erkunden, ist es gerade wichtig, in die Ferne zu schweifen. Selbst, wenn am Ende die Idee steht, die von Anbeginn an in der gedanklichen Nähe zu finden war: In diesem Fall hat man sich die Mühe gemacht, weiter, über die Grenzen hinaus, kreativ-phantasievoll über Möglichkeiten nachzudenken. Auf diesem Wege kann Neues in die Kulturinstitutionen gelangen.

DAS NEUE
In dem Deutschen Wörterbuch, dessen erster Band 1854 von den Gebrüdern Grimm herausgegeben wurde, finden wir den Begriff „Neugier“. Sie wird definiert zum einen als die Gier, eine Neuerung zu machen. Zum anderen auch als die Gier, etwas Neues um des Neuen willen kennenzulernen. Dem Neuen kann dabei immer nur mit weiterem Neuen begegnet werden, da nur so das Gieren gestillt werden kann. Der französische Philosoph Jean-Francois Lyotard hat in Bezug auf das Neue geschrieben, dass ängstlich die Frage „Geschieht es?“ gestellt wird. Ängstlich, weil die Frage mit einem Nein beantwortet werden könnte: Nein, es geschieht nichts. Eine solche Antwort scheint insbesondere der moderne Mensch mit seiner Verortung in der Erlebnisgesellschaft zu fürchten, so meine Vermutung. Erleichtert wird er reagieren, wenn die Antwort lautet: Es geschieht! Mit ihren
Innovationsgraden liefert die Innovationsforschung, so kann man überspitzt sagen, vier Möglichkeiten, „Es geschieht!“ auszurufen. Innovationen sollen dabei Antworten auf folgende
Fragen geben:
1) Sind Produkte oder Dienstleistungen komplett neu oder entscheidend verändert?
2) Sind Produkte oder Dienstleistungen deutlich verbessert?
3) Liefern Produkte oder Dienstleistungen neue oder verbesserte Zusatzleistungen?
4) Handelt es sich um eine Produkt- oder Dienstleistungsdifferenzierung?

Unklar bleibt, wer diese Fragen beantwortet. Wir sind hier an einer entscheidenden Stelle, die in der Diskussion über das Neue häufig vernachlässigt wird: der Kontext. Was für den einen Bereich neu erscheint, ist es für den anderen nicht. Dies kann an einem Beispiel verdeutlicht werden: Im Jahr 2006 übertrug die Metropolitan Opera erstmals eine Opernaufführung live in die Kinos. Dies war nicht nur neu für dieses Opernhaus, sondern für Opernhäuser generell. Und für den Kultursektor. Als später andere Einrichtungen wie die Mailänder Scala oder die English National Opera nachzogen, waren diese Schritte für sie jeweils neu – aber sie waren es nicht mehr für alle Opernhäuser und den Kultursektor. Alle drei genannten Opernhäuser griffen wiederum auf die Neuerung „Kino“ zurück, die schon viele Jahrzehnte zuvor geschaffen wurde und die natürlich auch nicht vom Himmel gefallen ist. Denn: Das Kino basiert auf dessen Vorgänger, den Schaubuden auf den Jahrmärkten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das heißt auch, dass objektiv Neues nicht existiert oder existieren kann. Das Neue benötigt das Alte, es zeigt sich im Unterschied zum Alten und es baut auf diesem auf. Greifen wir nochmals auf Lyotard zurück. Der von ihm beschriebene Kreislauf aus „Geschieht es?“ und „Es geschieht!“ besitzt einen Zeitaspekt. Auf die Frage erfolgt die Antwort und auf diese wird die Frage erneut gestellt. Die Abstände zwischen Frage und Antwort müssen dabei so kurz sein, damit der Mensch die Ungewissheit, es könnte etwas nicht geschehen, nicht lange aushalten muss. Der Mensch giert eben nach Neuem.

Bringen wir nun einige offene Fäden zueinander: Strategie und Zeit gehören zusammen, sie betrachtet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Aus einer Zukunft wird nach Ablauf der Zeit ebenso eine Gegenwart wie aus einer Gegenwart eine Vergangenheit wird. Bei nahezu jeder Erwähnung von Strategie fällt der Begriff „Langfristigkeit“. Dabei muss dieser ebenso wie der Begriff der Innovation kontextual betrachtet werden: Ein Forstwirt wird Langfristigkeit anders definieren als ein Software-Startup. Im Zusammenhang mit dem Wettbewerb wird auch davon gesprochen, dass Strategie die Zeit verkürze. Jedoch ist es nicht immer gut, Zeit zu kappen: Ein hervorragender Wein benötigt eben seine Reifezeit im Fass und der Mensch Geduld, bis dieser gereift ist. Die Geduld – die Fähigkeit, eine Situation zu er-dulden – ergänzt somit die Eigenschaft, als Stratege oder Strategin in permanent fließender Zeit zu denken. Gerade öffentlich-getragene Kultureinrichtungen, so einige Kulturmanager und Kulturmanagerinnen, stünden unter einem permanenten Innovationsdruck. Dieser Druck kann zu Zeitverkürzungen führen. Es kann jedoch der Fall sein, dass das potenziell Seiende mittels der kreativ-phantasievollen Kompetenz des Strategen und der Strategin nicht ausreichend beleuchtet wurde: Zu sehr sind sie getrieben, das Neue um des Neuen willen ausfindig machen zu müssen. So kommt es, dass in der kulturmanagerialen Literatur Innovationen genannt werden, deren Innovationscharakter selbst dann fragwürdig ist, wenn es sich kontextual betrachtet um Neuerungen für die jeweilige Einrichtung handeln mag: Zu hinterfragen ist, ob ein Konzertmitschnitt auf DVD oder ob das Ausdrucken von Eintrittskarten am heimischen PC tatsächlich Innovationen sind; oder ob die Strahlkraft des Begriffs nicht eher eine Ideenlosigkeit übertüncht und so dem Innovationsdruck scheinbar nachgegeben wird. Hier bedarf es des Mutes, auch einmal darzustellen, dass es gerade nichts Neues gibt; dass wohl aber das bereits Existierende gut ist. Und somit entscheidet man sich gegen die Suche nach Innovationen. Damit der Innovationsbegriff nicht leer, ohne jedweden Kontext bleibt, beantworten wir das Frage-Antwort-Spiel von Lyotard auf eine
andere Weise: „Es geschieht nichts Neues. Aber das, was geschieht, ist gut. Auch wenn es schon bekannt ist.“ Der Stratege oder die Strategin erhalten so Zeit, Ideen zu entwickeln und zu prüfen, ob mit ihnen eine Harmonie zwischen Maßnahme und Ziel, zwischen Gegenwart und Zukunft hergestellt werden kann. Um dann tatsächlich mit einer Neuerung auf die Bühne zu treten.

ZUSAMMENFASSUNG
Wir haben in diesem Video neben einigen Aspekten, die zum Thema „Strategie“ zu nennen sind, vier Eigenschaften kennengelernt, die den Strategen, die Strategin auszeichnen und die ich unter dem Verb Strategieren zusammenfasse: Um zu strategieren, bedarf es der Kreativität bzw. der Phantasie, des Mutes, des guten Umgangs mit Entscheidungen und des bewussten Umgangs mit der Zeit. So kann das Neue zu seiner Zeit mithilfe des Strategierens in die Kultureinrichtungen gelangen.


Last modified: Monday, 18 November 2024, 11:40 AM