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Vortrag 03: Prof. Dorothea Weise - Tanz und Bewegung

Abschlussbedingungen

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Hörbewegungen

Körper––Bewegung––Tanz in der Rhythmik
Dorothea Weise
 
Die Bezeichnung des Fachbereichs Rhythmik wird oftmals ergänzt mit dem Zusatz „Musik und Bewegung“. Warum heißt es nicht „Musik und Tanz“? Schließt doch der Begriff Musik im Verständnis der meisten Menschen den Akt des Gestaltens von Ton- und Klangereignissen und damit das Schaffen von Kulturgut ein. Bewegung hingegen ist zunächst einmal alles, was mit Orts- oder Positionsveränderungen eines Körpers einhergeht, auch reine Zweckbewegungen. Ihnen wohnt aber, außer dem Erreichen des gewünschten Ziels, nicht unbedingt ein darüber hinaus gehendes ästhetisch-gestaltendes Eingreifen inne. Genau dies ist aber in der Rhythmik gewünscht.
Vereinfacht lässt sich sagen: Der Körper ist der Ort, in dem sich Sinneswahrnehmungen als Körpererinnerung manifestieren und verbinden. Der Körper ist aber nicht nur ein „Gefäß“ für Wahrnehmung. Er reagiert und verhält sich zu den Wahrnehmungen mit Bewegung, er ist „Anzeiger“ für Bewegtheit. Diese dann bewusst zu gestalten, sie in Beziehung zu Musik, zum Raum und zur Gruppe zu setzen, sind gestalterische Akte, die aus Bewegung Tanz werden lassen können. Tanz, im Sinne von „gewusst wie“, im Sinne von Bewusstheit in der Bewegung und entwickelt aus der vertieften Auseinandersetzung mit Musik.
 
Musikalische Körper

Als Émile Jaques-Dalcroze 1906/07 seine mehrbändige Methode zur „Entwicklung des Sinnes für Rhythmus und Tonart wie zur Ausbildung des Gehörs“ herausgibt, räumt er der Körperbewegung als eine der drei Säulen seines Konzepts einen hervorragenden Platz ein. Eine Vielzahl systematisch aufgebauter Bewegungsübungen lassen Notenwerte, Metren, zusammengesetzte Rhythmen, Phrasen, aber auch Dynamik und Harmonik körperlich erfahrbar und im Raum sichtbar werden. 
Dalcroze stellt damit die Bewegung ins Zentrum seiner Musikvermittlung und verbindet auf diese Weise das Hören mit dem Spüren und dem Sehen (wenn z. B ein Arm für die Dauer einer viertaktigen Phrase einen Halbkreis vor dem Körper zeichnet). Das Spüren vollzieht sich dabei sowohl auf der taktilen Ebene - etwa, wenn der Fuß den Boden berührt - als auch kinästhetisch, denn ich nehme meine eigenen Bewegungsimpulse sowie die Lage meiner Körperteile im Raum wahr. Das fortwährende Zusammenspiel und die Koordination zwischen Hören, Spüren und Sehen gestalten so die Steuerung der Bewegung. 
 
Von der Bewegung zum Tanz

Obgleich Dalcroze, von Haus aus Musikpädagoge und Komponist, seine Methode vom Tanz distanzierte, wandten sich einige seiner Schülerinnen auf der Suche nach individuellem Bewegungsausdruck dem Tanz zu. 
Zu den bekanntesten gehören Hanya Holm, Mary Wigman, Marie Rambert, Suzanne Perrottet und Rosalia Chladek,. Alle fünf haben Erfolge als Choreographinnen gefeiert und Tanzausbildungen mit eigenen Körperbildungs-Systemen geschaffen, die großen Einfluss auf den Tanz genommen haben. Das Ausdrucksbestreben hat über Umwege in die Rhythmik zurückgefunden. Dies ist u.a. sicherlich auch dem Einzug der Rhythmik in die Heilpädagogik zu verdanken. Denn dort geht es um den Einzelnen, der individuell in seiner Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeit in Musik und Bewegung unterstützt wird. Ein weiterer Aspekt dürfte die Ansiedelung der Rhythmik als künstlerisch-pädagogisches Ausbildungsfach an Musikhochschulen sein, die mit Präsentationen künstlerischer Produktionen als Prüfungsform einhergeht. Da im Fach Rhythmik kein bewegungskünstlerisches Repertoire existiert, dass interpretiert oder „re-enacted“ werden könnte, entwickeln Studierende eigene künstlerische Bühnen-Gestaltungen. 
Andere Rhythmikerinnen der frühen Generationen haben sich besonders der Erforschung des Körperbewusstseins durch Verfeinerung der Wahrnehmung mit dem Ziel physiologisch ökonomischer Bewegung gewidmet. Zu ihnen gehören Gerda Alexander, Dore Jacobs und Rosalia Chladek.
 

Körper - Bewegung - Tanz

Rhythmikerinnen und Rhythmiker haben zu allen Zeiten Entwicklungen in den Künsten als Impulse für ihre eigene Arbeit wahrgenommen. So hat sich auch die Bewegungsbildung im Rhythmik-Studium verändert, tänzerische und somatische Techniken integriert, um Körperbewusstsein und Bewegungsrepertoire bestmöglich und mit Potenzial für individuelle Ausformungen weiterzuentwickeln.
Eine solche Flexibilität ist nur mit Techniken möglich, die kein festes, sog. kodifiziertes Bewegungsvokabular enthalten. Vielmehr sollen durch sie Bewegungsprinzipien vermittelt werden, die explorativ und improvisatorisch angeeignet werden können und dazu ein präzises anatomisches Wissen sowie Kenntnis um physiologisch gesunde Bewegung und die Beziehung von Schwerkraft und Bewegungsmoment aufbauen. Schließlich sollen sie so vielfältige Bewegungs-Materialien bereithalten, dass musikalische Parameter und Gestaltungsmerkmale wie Artikulation, Klangfarbe und Dynamik realisiert werden können. 
So unterschiedlich sich Rhythmikerinnen und Rhythmiker heutzutage bewegungskünstlerisch auf der Bühne zeigen, so eint sie die Bezugnahme auf musikalische Gestaltungselemente und -formen: Phrasierung, Pulsation, rhythmische Struktur, Motivverarbeitung, wie auch gänzlich andere Konzepte aus Musikwerken des 20. und 21. Jahrhunderts, aus dem Jazz und aus der Weltmusik bilden die Folien für ihre Bühnen-Kreationen. 
Das Feld der künstlerischen Arbeiten ist daher im Vergleich zu den Anfängen der Rhythmik äußerst heterogen. Die im Studium angeregte Auseinandersetzung mit Formen der Darstellenden Künste wie Ausdruckstanz, Tanztheater, Theater, zeitgenössischer Tanz, Performance, Body Art, um einige Ausprägungen zu nennen, wird zu selbständigen Bedeutungserzeugungen im Kontext von Musik und Bewegung weiterentwickelt.
Dies geschieht zunächst auf der Basis des Aufspürens von Gestaltungsmerkmalen, die sich aus der Kenntnis kompositorischer Strukturen in Musik und Bewegung herausfinden lassen. Es sind dies grundlegende Prinzipien wie Wiederholung, Variation, Kontrast, Ergänzung, Fortspinnung und damit einhergehende Spannungsverläufe in Verbindung mit individuellen Rezeptions- und Interpretationsvorgängen. Die Entschlüsselung oder Verrätselung von musikalischen, aber auch bildnerischen Werken, von Videos und Texten durch den Akt der Transformation in das Ausdrucksmedium der Bewegung als aktive Resonanz geschieht Aneignung, Befragung und Sinnstiftung.
 

Zuletzt geändert: Montag, 10. Juli 2023, 19:39