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Vortrag 01: Prof. Elisabeth Danuser - Beziehungsgestaltung

Abschlussbedingungen

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Beziehung und Aesthetik 

im Gestaltungsprozess von Musik und Bewegung / Rhythmik
 
1 Das Subjekt im aesthetischen Gestaltungsprozess
Im Lernprozess von Musik und Bewegung steht der Mensch als eigenständiges Subjekt im Mittelpunkt. Schlüssel für die dazu notwendige Interaktion von Lehrperson und SchülerIn ist die Qualität der Beziehung, welche aufgebaut wird, damit eine entsprechende Basis für kreative Entwicklung geschaffen werden kann. 
Lernen in Musik und Bewegung/Rhythmik bedeutet handelndes Lernen und stellt die lernende Person in den Mittelpunkt. Durch die verschiedenen Perspektiven des Zugangs zum Feld von Kultur und Kunst öffnet sich eine breite Erfahrungspalette. Diese kann von Menschen von 0 bis 100 Jahren, von unterschiedlichstem Entwicklungsstand und verschiedener Herkunft gewinnbringend genutzt werden.
 
2 Die pädagogische Beziehung
Die Wichtigkeit der Beziehungsqualität zwischen Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern ist sowohl neurowissenschaftlich als auch pädagogisch belegt.
In seiner Einführung zum Vortrag „Die pädagogische Beziehung, Neurowissenschaft und Pädagogik im Dialog“ sagt Prof. Joachim Bauer, Professor für psychosomatische Medizin und Psychotherapie:
 „Soziale Erfahrungen werden vom Gehirn evaluiert, mit biologischen Reaktionen beantwortet und formen das kindliche Gehirn. 
Und er fährt fort: "Beziehungserfahrungen im Allgemeinen und pädagogische Erfahrungen im Besonderen werden vom Gehirn in biologische Prozesse konvertiert: Das menschliche Gehirn macht aus Psychologie – ob wir es wollen oder nicht – Biologie. Zwischenmenschliche Beziehungserfahrungen aktivieren (und inaktivieren) Gene, formen die neuronalen Schaltkreise des Gehirns (was zum Begriff der „neuronalen Plastizität“ führte) und sind eine unabdingbare Voraussetzung für die Herausbildung eines kindlichen Selbst.“
(Bauer, 2017)

Setzen wir nun diese Aussagen in Bezug zum Aufbau einer pädagogischen Beziehung im Gestaltungsprozess von Musik und Bewegung, so zeigt sich bald, dass im Umfeld aesthetischer Bildungsprozesse verschiedene Aspekte vernetzt werden.
 
Ich möchte in diesem kurzen Text drei Bereiche definieren, welche für die Beziehungsqualität in Unterrichtsprozessen bestimmend sind. Dies sind 
A die Beziehung zu sich selbst - zur eigenen Kreativität
B die Beziehung in der Interaktion durch Resonanzgeschehen
C die Beziehung in Beziehung zum konkreten Handwerk.
 
3 Die Beziehung zu sich selbst und zur eigenen Kreativität: Kreativität entstehen lassen
Im Unterricht schaffen wir eine aesthetische Umgebung – mit möglichst viel Freiraum für eigene Ideen aller Beteiligten.
Beziehungsqualität wird unterstützt durch die Art und Weise, wie wir unsere eigene Kreativität im Vermittlungsprozess nutzen. Das heisst die Art und Weise wie wir sprechen, uns bewegen und musizieren spielt eine grosse Rolle. 
Die Medien Musik und Bewegung sind wichtige Träger der Beziehungsqualtität. Die Wahl des eigenen Instruments muss sorgfältig durchgeführt werden: dabei spielen dessen Grösse, Einsatzmöglichkeiten und unsere Fähigkeit, dieses in der Interaktion und in Bewegung zu nutzen eine grosse Rolle.
Die individuelle Auseinandersetzung mit der persönlichen Qualität, des spezifischen Ausdrucks der eigenen Kreativität bildet letztendlich die Basis des Beziehungsgeflechts.
Was wir für den Unterricht oder für ein Projekt auswählen, seien es Musikstücke, Lieder oder Tänze hängt immer stark von unseren persönlichen Wahrnehmungen und Vorlieben ab. 
Wollen wir aber eine breite Basis schaffen, in der alle unterschiedlichen Individuen ihre persönliche Kreativität entwickeln können, so kann dies nicht genügen. Die Ausbildungen bieten daher eine umfassende Bildung in Kunstvermittlung an, welche es den Studierenden ermöglicht, je nach Situation und Vorbildung der Lernenden entsprechende Medien auszuwählen und zur Verfügung zu stellen.
Beziehung in Relation zur Kreativitätsentwicklung bedeutet daher, im Unterricht Kulturtechniken unterschiedlichster Art zu trainieren und zu gestalten. Gleichzeitig wird aber auch genügend Platz geschaffen für die Entwicklung eigenständiger und individueller Ansätze.
Dadurch, dass wir - immer in Interaktion mit Schülerinnen und Schülern -  viel Handlungsspielraum lassen für die aesthetische Gestaltung, gleichzeitig aber auch sehr persönlich gefärbte Inputs geben für Gestaltungsprozesse, lassen wir neue Kreationen entstehen und sind eindringlich interessiert daran, was unser Gegenüber dabei an Ideen mitbringt.
 
4 Beziehung ist Resonanzgeschehen
Stephen Hawkins definiert Resonanz folgendermassen:
„Nach der Wellentheorie des Lichts werden die hellen und dunklen Ringe durch das Phänomen der Interferenz hervorgerufen: Eine Welle, etwa eine Wasserwelle, besteht aus einer Reihe von Kämmen und Tälern. 
Wenn beim Zusammentreffen zweier Wellen zufällig die Kämme der einen auf die Kämme der anderen Welle treffen und Wellentäler auf Wellentäler, dann verstärken sie einander, und es entsteht eine größere Welle. Das nennen wir konstruktive lnterferenz. In diesem Fall heißen die Wellen «phasengleich». 
Das andere Extrem liegt vor, wenn die Kämme der einen Welle mit den Tälern der anderen zusammenfallen und umgekehrt. In diesem Fall heben sich die Wellen auf - sie sind «phasenverschoben». Bei dieser Situation spricht man von destruktiver Interferenz.“
(Hawkins, 2016:161-162)
 
Übersetzt in die Theorie von Pädagogik und Psychologie als Prozessgeschehen kann das so gedeutet werden: Jeder Teilnehmende in einem pädagogischen Prozess sendet eine Art „Welle“ aus. Gelingt es der Lehrperson, sich auf die „Wellen“ der SchülerInnen einzustimmen, so ist die Möglichkeit der Entstehung von konstruktiver Interferenz gegeben. Alle Beteiligten lassen sich auf einen gemeinsamen Entwicklungsprozess ein. Das wiederum bedeutet, dass der Lerneffekt deutlich um ein Mehrfaches verstärkt wird, da die Wellen sich verstärken. Gelingt diese Verstärkung nicht, so entsteht so etwas wie eine destruktive Interferenz. Es kann keine positive Verstärkung stattfinden und die Gestaltungsprozesse bleiben eher flach und bedeutungslos.
 
Basis für Beziehung ist eine forschende Haltung der Lehrperson und ihre Fähigkeit, resonante Prozesse zu unterstützen. Neugier für die Einmaligkeit von kreativen Prozessen sowie eine forschende Haltung gegenüber der Entstehung von Gestaltungsprozessen ist für alle Lehrpersonen unabdingbar. Aus dieser Grundlage heraus können positive resonanzgeleitete Prozesse entstehen.
 
5 Beziehung entsteht auf dem Fundament von gutem Handwerk
Beziehung beruht also einerseits auf Empathie und Kreativität, andererseits aber auch aus ganz spezifischem Können und Wissen. Die hier aufgeführten dazu notwendigen Tools sind in der Interaktion mit Studierenden im langjährigen Didaktik Unterricht entstanden.
Die Kernkompetenzen der Lehrpersonen beinhalten solide musikalische, bewegungstechnische und didaktische Fähigkeiten.
Sie berücksichtigen den Hintergrund verschiedener Kulturen und lassen unterschiedlichste und oft unvorhersehbare Möglichkeiten der Gestaltung zu.
Beziehung wird entwickelt auf der Basis eines möglichst breiten didaktischen Verständnisses von Struktur und Dynamik der Unterrichtsgestaltung. (Danuser, 2018)
Struktur bedeutet die Wichtigkeit der Formulierung von Lernzielen und der Definition des Kompetenzerwerbs der Schülerinnen und Schüler auf dem Hintergrund der definierten Lernziele von Institutionen und Lehrplänen.
Dynamik der Unterrichtsgestaltung bedeutet dann den Prozess, der in der Interaktion von allen Beteiligten entsteht und immer unvorhersehbar und neu ist. 
Die daraus folgende Flexibilität in der Unterrichtsgestaltung macht eine offene Beziehung möglich.
 
6 Fazit
Die Rolle der Lehrperson besteht dabei darin, durch ihre Grundhaltung in der aesthetischen Gestaltung eine Beziehung zu ihren Studierenden und Schüler*innen aufzubauen, welche den oben beschriebenen Lernprozess unterstützt. Die zentrale Frage dabei ist immer die Gestaltung einer Lehr-Lern-Situation, in der künstlerische Prozesse in Gang kommen und bei der die Lernenden entsprechende eigenständige Erfahrungen machen können. Dahinter steht die Absicht, motivierend zu wirken und Freude für eigenständiges gestalterisches Handeln zu wecken.
 
Hausen am Albis, 16. Juni 2021, Prof. Elisabeth Danuser
 

Elisabeth Danuser Zogg

Prof. Elisabeth Danuser ist ehemalige Leiterin Zentrum Weiterbildung und Studienleiterin Musik und
Bewegung, Zürcher Hochschule der Künste ZHdK.
Seit ihrer offiziellen Pensionierung entwickelt sie im Rahmen der Danuser GmbH für Beratung und Lernen
Angebote in Coaching und Mentoring für Einzelpersonen sowie Institutionen / Organisationen und bietet
Kurse mit Inhalten aus Musik und Bewegung, Management und Projektentwicklung im kulturellen Bereich im In- und Ausland an.
Studium in Rhythmik sowie heilpädagogische Zusatzausbildung in Zürich. Langjährige Tätigkeit im Bereich Musik und Bewegung / Rhythmik mit Menschen aller Altersstufen und mit Menschen mit besonderen Bedürfnissen sowie in der Aus- und Weiterbildung für PädagogInnen von Volks-, Musik- und Sonderschulen.
Diverse Publikationen zu Didaktik Musik und Bewegung, Inklusion, Lehr- und Lernprozesse,
Zusammenfassung auf www.elisabethdanuser.ch

Zuletzt geändert: Montag, 10. Juli 2023, 19:26