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Wiki: Freundliche Diktatur

Performance

Eine gewisse Besonderheit meiner künstlerischen Produktion besteht darin, dass ich mich einerseits für kollektives Wissen, kollektive Erfahrung und populäre, narrative Strukturen unserer Gesellschaft interessiere und außerdem oft mit anderen Künstler*innen, Schauspieler*innen und Musiker*innen zusammenarbeite. Andererseits aber entscheide ich dann gar nicht gemeinschaftlich, sondern – ich möchte fast sagen – diktatorisch, wie genau diese filmischen, fotografischen, performativen Produktionen letzten Endes aussehen und welche Präsentationswege sie gehen. Ich hoffe, es handelt sich um eine freundliche Diktatur.

In meinen ersten Live-Performances, die am Ende meines Kunststudiums entstanden, führte ich in erster Linie Regie und stand während der Aufführung gespannt und ängstlich am Bühnenrand. Nach den strapaziösen wochenlangen Trainingseinheiten hielt ich im Backstage-Bereich die Getränke kalt und wartete mit meinen Umarmungen auf meine Darstellerfreunde. Viele Stunden allein mit meiner Bolex-Kamera und die Einsamkeit der Dunkelkammer haben mich wohl dazu getrieben, nach meinen anfänglichen Performances für Kamera, die eine Art Nische zwischen dem kinematographischen Apparat und der menschlichen Bewegung zu (er)finden suchten, nun einmal Arbeitszeit gemeinsam verbringen zu können und, wenn es dann ans Zeigen ging, cool auch mal andere für mich tanzen zu lassen. Vielleicht war es aber auch der Umstand, dass meine Kommilitonen – zumindest die, auf die ich damals etwas hielt – immer nur komisch guckten, mit den Augen rollten oder Beschwichtigungsgesten mit den Händen anfingen, wenn ich ihnen von einer neuen Idee für eine Live-Performance erzählte. Performance an einer Kunsthochschule hatte Ende der 1990er Jahre (trotz Matthew Barney) noch oft den Ruf, eine meist weibliche Selbsterfahrung zu sein, in der man etwa vor einem geifernden Bildungsbürgertum nackt, brennende Kerzen am Rücken zu balancieren versucht oder aber sich ganz nach Balkanmanier und selbstverständlich auch komplett ausgezogen in Brotteig oder sonstigem organischen Material wälzte. Ich hatte schon genug damit zu tun, dass ich in den meisten meiner ersten Filme und Fotografien auch selbst als Darstellerin vorkam und dabei mehr als nur einmal nackt zu sehen war ...

 

„Mikrodramen“

Die kollektive Erfahrung dieser ersten Live-Performances (Stepptänze und ein Theaterstück – „W5-Dance Performance“, „Vienna Dance Performance (Empathy)“, „Multistability Theatre“), bei denen Übung und Aufführung für mich immer austauschbarer wurden, änderte sich, sobald ich die Umgebung des Elfenbeinturms der Kunsthochschule verließ und nicht mehr eine Schar Menschen täglich um mich hatte, die auf jedwede Aktionen in den schulischen Ateliers warteten. Mein sozialer Kreis wurde enger und auch intimer, gleichzeitig ließ meine neue Lebenssituation keine langen und teuren Produktionen zu: Ich entwickelte ganz direkt funktionierende Performances, kurze, dramatische Fragmente, die ich nach einiger Zeit „Mikrodramen“ nannte und zwischen 2008 und 2014 produzierte. Das Set-Up erinnerte an das einer Schüler- oder Amateurtheatergruppe: Ich wählte ein Textfragment aus einem bekannten, oft gespielten Theaterstück oder aber eine klischeehafte Spielfilmszene aus, ein Skript, das jeder vermeintlich kennt und das irgendwie seit meiner eigenen Kindheit oder Jugend irgendwo in meinem Kopf kleben geblieben war bzw. immer wieder mal dort auftauchte. Meist handelte es sich um Wende-, Eingangs- oder Endszenen, narrative Bereiche zwischen einem fiktiven Personenpaar, in denen sich die Figuren (oder zumindest eine davon) weiterentwickeln, zu etwas überreden lassen oder sich zu etwas Neuem durchringen können und die gerade deshalb in der Theorie immer wieder (neu) besprochen werden. (Mikrodramen „Nora“, 2008; „Liebelei“, 2008; „Ich liebe Dich“, 2008; „Change“, 2009, „Micromusical #1, 2009, „Who´s afraid?/Final Fight“, 2010, „“The Individualists“, 2011, „Art and Life“, 2012). Dazu lud ich befreundete Künstler*innen (Hanno MillesiManuel GorkiewiczDaniel LauferMichael PartChristian Wallner u.a.) ein, diese kurze Szenen auswendig zu lernen und mit mir über einen bestimmten Zeitraum zu proben. Dadurch, dass ich mit fast allen SpielpartnerInnen befreundet war (und noch immer bin), entstand durch die bestehende Beziehung gemeinsam mit der fiktive Rolle, die es zu erlernen galt, und der zusammen verbrachten Übungszeit oft so etwas wie ein neues Stück, das jedoch noch immer aus dem alten Text bestand. Öfters behaupteten Leute, nachdem sie ein „Mikrodrama“ von mir sahen, dass ich den Originaltext geändert hätte, was nie stimmte. Der Grund dafür ist wohl eben beschriebenes Procedere sowie auch die Tatsache, dass sich die meisten dann doch nicht so genau an diese in der Schule gelesenen Theaterstücke und oft zitierten Filme erinnern, sondern viel mehr auf ein medial mehrfach gefiltertes sowie mehrfach interpretiertes Stückwerk („War das nicht auch ein Film?“, „Nein, das hab ich im Fernsehen gesehen.“ „Der Text ist doch ursprünglich von ...“ usw.) locker zurückgreifen. Was wiederum eine Art kollektives Wissen (oder ein kollektives Missverständnis) ist, dem ich nachgehe.

https://vimeo.com/25192572

https://vimeo.com/41348302

Ein anderer Aspekt der „Mikrodramen“ war, dass vor allem die ersten Performances dieser Serie von sognannten AmateurdarstellerInnen gespielt wurden, also von mir, gemeinsam mit befreundeten KünstlerInnen, manchmal auch von Personen aus dem kulturellen Umfeld wie z.B. KuratorInnen. Die Bereiche, die in jenen Live-Aufführungen und Performances für Video zwischen Nervosität, Anstrengung, Selbstdarstellung und Übertreibung beweglich werden, konnten einerseits Mitleid mit dem Performer (Fremdscham) auslösen, aber im besten Fall auch eine neue Erfahrung im Kontext des Ausstellungsraumes (sowohl für den Performer als auch für das Publikum) herstellen. Ausnahme ist das bisher letzte „Mikrodrama“, „Mikrodrama #11“ (2014), in dem ich selbst verfasste Skripte verwendete – aus der Erinnerung aufgeschriebene und weiter adaptierte Gesprächen mit Freunden – die ich in der Folge mit dafür gecasteten Schauspielern (Daniel Wiemer und Mario Mentrup) verfilmte.

Man kann sagen, dass ich durch die „Mikrodramen“, in denen ich anfangs ein standardisiertes Verfahren einer Theater- und Filmproduktion vereinfacht und bewusst kindlich imitiert und übernommen habe, mich mit meinen DarstellerInnen und den Figuren psychisch und physisch auseinandersetze, zu Proben traf, Requisiten und Kostüme herstellte und nach vielen Wiederholungen, in denen ich in verschiedener Art und Weise Regisseurin war, Aufführungen inszenierte – man kann sagen, dass ich mit der Zeit immer mehr dieses Produktionsverfahren der darstellenden Kunst für mich und den Kontext der bildenden Kunst adaptierte. Dabei interessierten mich die Unterschiede und Schnittmengen, die Nischen zwischen der Praxis der bildenden und der darstellenden Kunst immer mehr. Genauso nervte mich die gegenseitige Arroganz zwischen diesen Disziplinen.

 

Spielfilm „The Animals“

Als ich nach „Mikrodrama #11“ (2014) mit meinen ersten Spielfilm „The Animals“ anfing, meinte ein befreundeter Künstlerkollege zu mir: „Ist doch super jetzt mit Schauspielern – kannst Du denen einfach sagen, was sie machen sollen und die machen das dann. Das müssen die ja dann auch.“ Solche und ähnliche Erfahrungen haben mich ehrlich gesagt schockiert und mich dazu veranlasst, mein Interesse an der Schnittstelle bildende/darstellende Kunst, SchauspielerIn/PerformerIn/KünstlerIn zu vertiefen und bewusst in einer Produktion zu verwenden. Weder hatte ich das Gefühl das SchauspielerInnen mehr tun müssen als KünstlerInnen, die in einer Performance von mir schauspielten, noch ist dieses „Tun-Müssen-Was-Die-Regisseurin-sagt“, etwas, was mich fasziniert, im Gegenteil macht mich an meiner Arbeit froh, dass eher über die Zusammenarbeit mit Darsteller*innen die Form der Arbeit weiter generiert und gebaut wird.

Bei der Montage meines Films „The Animals“ fragte mich mein Cutter Matthias Semmler manchmal, wie oder wer in einer bestimmten Szene Regie geführt hatte (Co-Regisseur war Mario Mentrup) oder wie ich bestimmte Dinge eingefädelt oder vorbereitet hätte. Er war immer sehr überrascht, als ich ihm erzählte, wie es war: Dass ich nie Anweisungen gegeben habe wie: „Mach das so!“, „Sprich das lauter!“, „Guck dabei so oder so!“ etc., sondern mich mit jedem Schauspieler einzeln vor dem Dreh getroffen habe und dabei in erster Linie über die jeweilige Figur gesprochen habe, wie ich sie mir beim Schreiben des Drehbuchs vorgestellt habe und wie ich auf sie kam, an welche Leute sie mich in der Realität erinnerte und warum ich wiederum den jeweiligen Schauspieler, die jeweilige Schauspielerin dann gefragt habe, jene Figur zu spielen. Welche andere von ihr oder ihm gespielte Rollen mich beeindruckt haben und warum. Dann gab es im Skript selbst eher geschlossene und eher offene Stellen. Übungen, die aus dem „Method Acting“ sowie anderen Schulen kommen, wurden zum Beispiel im Film zu Struktur- und Handlungsträgern, einige Szenen aus „Cat People“ (dem „Film im Film“), die ich mit meinem langjährigen Performance-Partner Hanno Millesi spielte, waren sozusagen auch eher fixierte Bereiche. Dann gab es wieder solche, die ein bis zwei Improvisationen einplanten, solche in denen Mario Regie führte usw. Dieses Verfahren, ich nenne es immer: „Eine Choreographie, ein lockeres Netz haben, dann „Play“ drücken und gespannt und vorbereitet zugleich schauen, wie die Realität durch die Maschen dieses Gewebes dringt und darauf dann im Spiel reagieren.“

Das alles klingt großartig, war aber nur deswegen möglich, weil das Team von „The Animals“ aus lauter Profis bestand (und zwar aus wirklichen Profis, nicht aus nerdigen), die außerdem außergewöhnlich großzügig mit ihrer untereinander auch sehr unterschiedlichen Professionalität für den Film umgingen. Dies war nicht nur für „The Animals“ gut, sondern ließ mich diese Produktion als „richtig“, vor allem aber als einen Schatz empfinden, den ich bei mir tragen durfte. Ganz pragmatisch gesehen machte dieser Umstand auch überhaupt einen Dreh an nur fünf Tagen möglich.

Innerhalb der Profis am Set und in der Postproduktion (SchauspielerInnen und KünstlerInnen, FilmemacherInnen, Technikerinnen aus unterschiedlichen Bereichen der Kunst und Industrie) waren allen voran Mario Mentrup (Schauspieler in „The Animals“ , mit dem ich bereits bei Mikrodrama #11 eine tolle Szene spielen durfte und der Co-Regie bei „The Animals“ führte) und Volker Sattel (Kameramann und Berater bei „The Animals“). Mentrup und Sattel haben einerseits schon gemeinsam sehr besondere, künstlerische Filme, die mich begeistern, erfolgreich produziert (z.B. „Stadt des Lichts“, „Der Adler ist fort“, „Ich begehre") und waren außerdem von Anfang an in das Projekt „The Animals“ sehr intensiv involviert und fanden die Filmidee einfach gut. Sie haben mir damit extrem Rückenstärkung gegeben und das Vertrauen überhaupt, dass ich so etwas machen kann. Von ihnen kamen nicht nur zusätzliche Kamera-, Regie-, Location- und Logistik-Ideen, sondern von ihnen aus startete auch eine Art Domino-Effekt für Cast und Crew: Einer wurde empfohlen, dann war der Nächste ein Freund und geschätzter Arbeitspartner von wiederum dem, dann konnte der nicht, der kannte aber jemand anders, der dann noch viel besser passte. Es war ein organisch wachsender Teppich, den wir in Händen hielten, dessen Gewebe fest, haltbar und kostbar strukturiert war und auch so produziert wurde.

„The Animals“ ist ein Film über Außenrepräsentation und was wir für diese zu geben bereit sind, ein Film über das Leben in Backstage-Bereichen und Parallelwelten, die das reale Leben verhandeln wollen. Es ist aber auch ein Film, der eine besondere Besetzung aufweist: SchauspielerInnen, die beispielsweise für eine kommerziellen Produktion nicht gemeinsam gecastet worden wären. Ein Film, der vielleicht auch durch das Dreieck Cmelka–Mentrup–Sattel eine spezielle Färbung bekommen hat. Die Montage von Matthias Semmler (erstmals auch in einer Filmarbeit habe ich den Schnitt nicht alleine gemacht) hat diese Färbung dann lustvoll aufgenommen und weiter gewandelt. „The Animals“ lief bereits an verschiedenen Orten und in verschiedenen Präsentationsmodi (alleine im Kino, kombiniert mit fotografischen und skulpturalen Arbeiten in Ausstellungsräumen sowie mit Live-Performances ausschnitthaft montiert). Die Welt der Filmfestivals ist allerdings für mich seit Beginn meiner filmischen Arbeiten, die öfters mal in diesem Zusammenhängen liefen, eine eher unangenehme. Mich begeistert das frühe Kino, das „Cinema of Attraction“ weit mehr als zeitgenössische Messen. In einer „The Animals“ folgenden Textpublikation, die sich gerade in Planung befindet, möchte ich auch dieses Thema weiterführen (Herausgeberschaft gemeinsam mit Mario Mentrup, voraussichtliche Veröffentlichung 2017).

(KC, im Oktober 2016)

 

Weiterführende Links

Artists Pick Artists: Kerstin Cmelka

http://hyperallergic.com/310792/artists-pick-artists-kerstin-cmelka/

Weitere Informationen zu „The Animals“

http://cmelkaanimals.blogspot.com

 


Zuletzt geändert: Mittwoch, 17. Januar 2024, 13:10