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Lektion 2: Patient*innenrechte

2.6 Der mutmaßliche Wille

Eine medizinische Maßnahme stellt ohne Einwilligung oder medizinische Indikation außer bei Notfällen eine Körperverletzung dar. Im Umkehrschluss bedarf deshalb jede medizinische Maßnahme, die bei Patient*innen durchgeführt wird, deren Einwilligung. Sind Patient*innen nicht mehr einwilligungsfähig, greift die Patientenverfügung. Liegt jedoch keine Patientenverfügung vor oder ist diese nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation anwendbar, stellen sich in der medizinischen Praxis sehr häufig Fragen nach dem mutmaßlichen Willen der Patient*innen. In Notfallsituationen können weitere erschwerende Faktoren wie Zeitmangel oder die schwere Auffindbarkeit der Patientenverfügung hinzukommen.

Grundsätzlich ist unter dem mutmaßlichen Willen der Wille zu verstehen, den die Person äußern würde, wenn sie dazu in der Lage wäre. Die Ermittlung des mutmaßlichen Willens soll gemäß § 1827 BGB Abs. 2 aufgrund konkreter Anhaltspunkte erfolgen. Insbesondere sollen frühere mündliche und schriftliche oder mündliche Willensäußerungen sowie persönliche, ethische oder religiöse Wertvorstellung berücksichtigt werden. Wenn es nicht möglich ist, die individuellen Vorlieben und Abneigungen einer Person zu erfragen, kann versucht werden, diese aus der Biografie und den beobachteten emotionalen Reaktionen abzuleiten. Auch nonverbale Zustimmungen oder Ablehnungen durch Gestik, Mimik oder emotionale Äußerungen müssen bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden, insbesondere bei Menschen mit fortgeschrittener Demenz. Ein hohes Maß an Kontinuität in der Pflege, Betreuung und Begleitung ist erforderlich, um sicherzustellen, dass die Wünsche und Bedürfnisse schwerstkranker und sterbender Menschen auch dann gehört werden, wenn sie sich dazu nicht mehr direkt und unmittelbar äußern können.

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