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2. Lufttransportsysteme

Completion requirements

6. Hersteller

6.2. Organisation der Hersteller

Insbesondere in den USA gab es lange Zeit zahlreiche einzelne Luftfahrzeughersteller. Die meisten waren auf Flugzeuge spezialisiert, jedoch gab es auch Hubschrauber-Spezialisten (zum Beispiel Sikorsky). Einige spezialisierten sich auf die Herstellung ziviler und andere auf die Herstellung militärischer Luftfahrzeuge. Auch Hersteller, die beide Kundengruppen gleichermaßen vorsorgten, waren am Markt zu finden.

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Über die letzten Jahrzehnte haben sich zahlreiche dieser Hersteller zusammengeschlossen oder größere Unternehmen haben kleine "geschluckt". Andere Hersteller konnten nicht mit dem Wandel in der Luftfahrt mithalten und sind vom Markt verschwunden. In den USA ist Boeing als großer "Platzhirsch" hervorgegangen. Das Unternehmen stellt neben den zivilen Verkehrsflugzeugen auch Flugzeuge für den Regierungsflugbetrieb und militärische Tankflugzeuge her, die auf den zivilen Modellen aufbauen sowie rein militärische Luftfahrzeuge. Lockheed Martin, Northrop Grumman und Raytheon sind heute hauptsächlich für militärische Fluggeräte und für einzelne Flugzeugsysteme oder bodengebundene Unterstützungssysteme bekannt. Darüber hinaus haben die Unternehmen teilweise weitere Geschäftsbereiche außerhalb der Luftfahrt (zum Beispiel in der Seefahrt). United Technologies (UTC) ist mit seinen Marken vor allem für Flugzeugsysteme und Komponenten - also gewissermaßen im Zuliefersektor - bekannt und hat sich jüngst (2020) mit Raytheon zu Ratheon Technologies zusammengeschlossen. Textron gilt als Mischkonzern dessen Geschäftsbereiche Flugzeuge und Hubschrauber (ehemals Bell) etwas mehr als die Hälfte des Konzernumsatzes ausmachen.

Auch in Europa lässt sich eine Tendenz zur Zusammenfassung von Unternehmen mittlerer Größe zu großen Konzernen im Luftfahrtumfeld beobachten. Dass dieser Trend sowohl in den USA als auch in Europa zu beobachten ist, ist nicht zuletzt auch auf die Komplexität des Lufttransportsystems und den hohen Regulierungsgrad in der Luftfahrt zurückzuführen, der mitunter große Organisationen erforderlich macht. All diese Darstellungen sind nicht als allumfassend zu erachten, das sie insbesondere Hersteller kleinerer Flugzeuge, militärische Flugzeughersteller und zahlreiche Zulieferunternehmen außen vor lassen. In Europa ist Airbus der führende Flugzeughersteller und stellt über die ehemalige Eurocopter Group (heute Airbus Helicopters) auch Helikopter her. Überdies hält Airbus 50% der Anteile am Regionalflugzeug-Hersteller ATR. Dassault, BAE und Saab haben nur einen geringen Marktanteil in der zivilen Luftfahrt (zum Beispiel über das Regional-Flugzeugmuster Saab 2000) und generieren nennenswerte Umsätze und Marktanteile in anderen Branchen (insbesondere Dassault), als Zulieferer oder in der militärischen Luftfahrt (zum Beispiel Saab Gripen).

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Die Grafiken konzentrieren sich auf größere Hersteller (nach Umsatz) beziehungsweise die Hersteller größerer Luftfahrzeuge. Sie sind daher nicht als vollständig zu betrachten, da insbesondere Hersteller kleinerer Luftfahrzeuge (wie z.B. Gleiter) außenvor gelassen wurden.

Ob ein weiterer Zusammenschluss dieser Hersteller (ggf. noch erweitert um ATR beziehungsweise Leonardo) zu einem europäischen Super-Luftfahrtkonsortium erfolgt, ist fraglich. Einerseits würde dies das vermeintliche "Duopol", das bereits durch Airbus und Boeing bestünde, zumindest in den Köpfen weiter verfestigen, andererseits könnte insbesondere der europäische Herstellermarkt unter Druck aus Asien (insbesondere VR China) geraten, wo durch ausgedehnte unternehmerische Tätigkeit des Staates Schlüsseltechnologien erobert und so Marktmacht erlangt werden soll, was wiederum dem Gedanken des fairen Wettbewerbs entgegenläuft.

Die USA haben den größten Anteil am weltweiten Umsatz und an den Beschäftigten in der Luft- und Raumfahrtindustrie. 5 Regionen dominieren dabei diese Industrie aufgrund der dort ansässigen Hersteller und Zulieferer.

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In Europa alleine betrug der Umsatz der Luftfahrtindustrie (ohne Raumfahrt) im Jahr 2015 etwa 140 Milliarden €.
  • Anzahl der Beschäftigten (im Jahr 2015): > 500.000
  • Gestiegene Produktivität (1980 - 2010: Ø 3% p.a.)
  • Frankreich, Deutschland & Großbritannien haben dabei den größten Anteil am europäischen Luft- & Raumfahrt-Markt

Während sich die Anzahl der Flugzeugauslieferungen in den Jahren vor der COVID-19-Pandemie relativ stabil gesteigert hat (von etwa 800 Flugzeugen im Jahr 2008 auf etwa 1500 im Jahr 2017 - also fast eine Verdoppelung), schwankte die Anzahl der Bestellungen im jeweiligen Jahr stark um diesen grundsätzlichen Trend herum (etwa zwischen 480 und 2800 Einheiten). Die Anzahl der Bestellungen ist damit ausgesprochen volatil. Seit 2008 lag die Anzahl der Bestellungen im jeweiligen Jahr jedoch zumeist oberhalb der Anzahl der Auslieferungen, sodass von einem sogenannten "Backlog" gesprochen werden konnte. Aufgrund der COVID-19-Pandemie sind für die 2020er Jahre natürlich viele Bestellungen mit einem großen Unsicherheitsfaktor behaftet.

Der Flugzeugmarkt besteht ganz überwiegend aus sogenannten Kurzstreckenflugzeugen (Single Aisle). Die Hersteller Airbus und Boeing sind vital von der Produktion von Kurzstreckenflugzeugen abhängig. Allerdings wird je Flugzeug natürlich bei einem Langstreckenflugzeug mehr verdient. Kurzstreckenflugzeuge liefern dagegen einen sehr gleichmäßigen Geldeingang (Cashflow).

Im Jahr 2017 wurden beispielsweise bei Boeing mehr Einheiten der Baureihe 737 bestellt, als ausgeliefert werden konnten. Bei den größeren Flugzeugmustern hingegen überstieg die Anzahl der Auslieferungen teilweise die der Bestellungen. Für die 747 gingen sogar keine neuen Bestellungen, jedoch 2 Stornierungen im Jahr 2017 ein, ausgeliefert wurden von der "Jumbo"-Baureihe in dem Jahr noch 14 Exemplare.

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Ähnlich gestaltet sich auch das Bild bei Airbus. Bei der A320-Familie überstiegen die Bestellungen im Jahr 2017 die Auslieferungen deutlich, während bei größeren Flugzeugmustern mehr ausgeliefert als bestellt wurde. Auch für das Airbus-Flaggschiff A380 gingen Stornierungen statt Bestellungen ein, jedoch wurden immerhin 15 Exemplare des größten Passagierflugzeugs der Welt in 2017 ausgeliefert.

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Airbus und Boeing decken den Langstreckenflugzeugmarkt praktisch komplett ab. Die beiden Hersteller beherrschen damit auch den Bereich um 200 Sitzplätze (und natürlich darüber). Es besteht außerdem ein erhebliches Variantenangebot im Bereich 80 bis 180 Sitze. Hier kommen auch Konkurrenten wie Embraer beziehungsweise Bombardier ins Spiel (bei Bombardier ausgedehnte Kooperation mit Airbus bei der CSeries beziehungsweise A220). Bei Passagierflugzeugen besteht eine ähnliche Tendenz wie bei PKW: Neue Muster werden oft etwas größer als die Vorgänger („Golf-Effekt"). Dies gilt insbesondere für Muster mit mittlerer Sitplatzkapazität und Reichweite (auch hier wieder Bereich 80 bis etwas über 200 Sitzplätze besonders betroffen), aber teilweise auch Bereich von Wide Body / Macro Body beziehungsweise Langstrecke betroffen.

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In Flugzeugprogrammen wird vom Flugzeughersteller zwischen Zulieferern verschiedener Ebenen unterschieden. Direkte Zulieferer (Tier 1) werden oft als Partner mit Beteiligung an Gewinn und Risiko beteiligt. Partner im Bereich Tier 2 liefern mehr oder weniger direkt an den Flugzeughersteller oder einen Tier 1 Partner, sind aber normalerweise nicht an Gewinn und Risiko beteiligt. Tier 3 Zulieferer in der Zulieferkette beliefern Tier 2 Zulieferer etc.

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Für gewisse Luftfahrzeugprogramme - wie zum Beispiel militärische Luftfahrzeugmuster - wird für das jeweilige Programm eine Programmfirma von mehreren Projektpartnern gegründet (zum Beispiel NHIndustries für NH90, Eurofighter Jagdflugzeug GmbH für Eurofighter Typhoon und zuvor schon Panavia Aircraft GmbH für den Tornado). Im Extremfall umfasst dies die Gründung „virtueller“ Projektmanagementfirmen zur Durchführung komplexer Entwicklungsprogramme mit mehreren Partnerfirmen auf Systemintegratorebene und Suppliermanagement.

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Was macht dann die Programmfirma?
Festlegung
  • Einer standardisierten gemeinsamen Sprache
  • Eines gemeinsamen Maßsystems
  • Der anwendbaren Normen, einschließlich der Äquivalenz von Normen
  • Der anzuwendenden Berechnungsverfahren
  • Der Nachweisführung für die Musterzulassung
  • Der Standards für Datenschnittstellen
  • Der Verfahren für Qualitätssicherung & Lieferantenauswahl
  • Eines Verfahrens für die Definition & Einführung von Änderungen
  • Gemeinsamer Engineering-Tools (CAD, FEM, etc.)

Spielregeln…
  • Für Beschluss-Kompetenz: Was kann ein Partner alleine beschließen, was muss gemeinsam beschlossen werden?
  • Für die Erarbeitung von gemeinsamen Beschlüssen in Gremien
  • Für die Verantwortlichkeit an Trennstellen zwischen Partnern

Ob Programmfirma oder klassischer Hersteller, elementar wichtig ist Arbeitsteilung hinsichtlich
  • Entwicklungsanteilen (Spitzentechnologiefelder & geringe Wertschöpfungstiefe sind strategische Firmeninteressen)
  • Produktionsanteilen (viele qualifizierte Arbeitsplätze im gewerblichen- & Ingenieurbereich sind strategische politische Interessen (hohe Einkommen, geringe Arbeitslosigkeit, Steueraufkommen, etc.)
  • Mix aus beidem definiert Arbeitsteilung (Workshare)

Politische Interessen dominieren oft europäische Flugzeugprogramme auf oberster Ebene stärker als ingenieurtechnische und betriebswirtschaftliche Kriterien.

Über eine Work-Breakdown Structure lässt sich die Arbeitsteilung in komplexen Flugzeugprogrammen beschreiben.

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Nimmt man Airbus als Beispiel, so lassen sich Arbeitsteilung und europäische Kooperation zwischen verschiedenen beteiligten Standorten beschreiben.

Produktions- und Entwicklungsstandorte von Airbus sind über ganz Europa verteilt.
  • Airbus unterhält zwei Standorte mit Endmontagelinien (Hamburg, Toulouse)
  • Transport der Rumpfsektionen, Cockpit, Flügel, Seitenleitwerk usw. per Flugzeug, Schiff und / oder LKW zu den jeweiligen Endmontagelinien

Folgen einer verteilten Produktion:
  • Zusätzliche Logistikkosten
  • Erhöhter Koordinationsaufwand
  • Gründe für die verteilte Produktion sind die Historie von Airbus und die bis heute bestehende Multnationalität (und die damit verbundenen nationalstaatlichen Einflussnahmen)

Dabei muss es in Konkurrenz zu Wettbewerbern, die weitestgehend auf einen Produktionsstandort konzentriert sind, gelingen, aus der verteilten Struktur und der Kooperation mehr Nutzen zu ziehen, als daraus Kosten erwachsen (insbesondere müssen die Logistikkosten gering gehalten werden). Da auch bei anderen Herstellern (wie zum Beispiel Boeing) zwar die Montage nicht so stark verteilt ist, aber trotzdem zahlreiche logistische Prozesse in der Zulieferung bestehen, gilt auch das stark verteilte europäische Modell als konkurrenzfähig. Die stark verteilte Produktion in Europa erstreckt sich neben den zahlreichen zivielen Verkehrsflugzeug-Baureihen auch auf militärische Luftfahrtprojekte wie den Airbus A400M.