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Historische Klaviere - Im Spannungsfeld zwischen Instrumentenbau und Interpretationsgewohnheiten
Kursthemen
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Die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelten Klavierinstrumente basieren nicht zuletzt auf den neuen technischen Möglichkeiten, die sich aus der Industrialisierung und die Eisenverarbeitung ergaben. So konnte aufgrund der Eisenverstrebung die Saitenspannung wesentlich erhöht werden; zugleich würde der Tastenumfang auf fast sieben Oktaven erweitert. Broadwood wurde damals zum größten Klavierproduzenten der Welt; 1840 betrug die jährliche Produktion 2.500 Instrumente. Wie vielen Instrumente des 17. bis 19. Jahrhunderts ging es auch bei diesem Instrument nicht nur um die Musikerzeugung, sondern es war zugleich ein Möbel in einem viktorianischem Salon.
Historische Klaviere - Teil 05 - Hammerflügel Broadwood (London, 1841)
Prof. Dr. Hans Bäßler im Gespräch mit Kurator Olaf Kirsch
Hammerflügel John Broadwood & Sons London, 1841
Herstellungs-Nr. 15 676 C1–a4 Mahagoni, Fichte, Ahorn, Ebenholz, diverse Hölzer und Metalle, Elfenbein 210,5 x 131,2 x 92,2 cm (Zarge 32,2 cm) Inv. Nr. 2020.211 | Sammlung Max Matthias
Transcript:
00:00:08:13 - 00:00:40:01 Hans Bäßler
Clara Schumann, die Frau von Robert Schumann, war fasziniert von den Broadwood-Flügeln, die in London produziert wurden. 1841 ist dieser Flügel gebaut worden, der hier im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg steht. Wir haben mit Herrn Kirsch, dem Kurator dieser Sammlung, jemanden, der uns zu diesem Flügel Genaueres sagen kann, insbesondere aber auch zur Familie Broadwood. Was ist das Besondere an diesem englischen Produkt?
00:00:40:21 - 00:02:31:19 Olaf Kirsch
Ja, die Firma Broadway & Sons war eine der wichtigsten und technologisch führendsten Firmen im frühen 19. Jahrhundert. Die Familie hat aber eine viel längere Tradition des Instrumentenbaus. Der Firmengründer, jener John, hat im 18. Jahrhundert eine Lehre bei einem aus der Schweiz nach London eingewanderten Cembalo Bauer gemacht, kommt also noch ganz aus dieser älteren Tradition zunächst des Cembalobaus, und hat dann mit den Zeitläuften irgendwann eben umgesattelt sozusagen und das modernere Instrument, den Flügel, produziert. Und er war dann gerade zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als also schon längst die Söhne dieses John Broadwood dann die Firmeninhaber waren, der führende Produzent auch im Hinblick auf Industrialisierung. Man hat sehr, sehr früh als in Kontinentaleuropa da überhaupt noch nicht dran zu denken war, arbeitsteilig gearbeitet und hat so dann auch enorme Produktionszahlen erreichen können und eine Standardisierung der Qualität. Wiener Klavierbauer haben 1851, also zehn Jahre nachdem dieser Flügel gebaut worden ist, die Londoner Weltausstellung besucht und in einem Bericht dann ihr Erstaunen oder ihre Bewunderung auch für die Firma Broadwood zum Ausdruck gebracht. Sie sei 1/4 Meile im Quadrat groß gewesen, und 300 bis 400 Mitarbeiter hätten da gearbeitet. Die Jahresproduktion war 2.500 Instrumente. Und sie sagen: In Wien haben wir 108 Klavierbauer, die ungefähr die gleiche Anzahl von Instrumenten herstellen, also eine industriell geführte Fabrik in London im Vergleich zu dem noch sehr traditionell orientierten handwerklichen Instrumentenbau in Wien.
00:02:32:06 - 00:02:52:14 Hans Bäßler
Was würden Sie sagen im Hinblick auf die Klangentfaltung dieses Instruments in Relation zu der handangefertigten Einzelanfertigung? Gibt es dann im Rahmen dieser industriellen Produktion unter Umständen Sprünge, Ausreißer, Unterschiede? Oder klingen alle mehr oder weniger gleich?
00:02:54:10 - 00:03:29:03 Olaf Kirsch
Also natürlich trotz der industriellen Komponenten wie eisernen Streben zur Kompensierung des sehr starken Saitenzuges und so weiter, da die Flügel seriell ja baugleich sind, haben wir es noch mit natürlichen Materialien zu tun. Gerade der Resonanzboden aus Holz, so wie heute auch noch jeder moderne Flügel individuell sich geringfügig von seinen Schwestern und Brüdern aus der gleichen Fabrik unterscheidet, so ist das bei diesen Instrumenten auch. Aber grundsätzlich ist es ein normiertes Serienprodukt.
00:03:30:09 - 00:03:46:20 Hans Bäßler
Was ich sehr interessant finde, das ist die Verarbeitung des Holzes. Es macht überhaupt gar nicht den Eindruck eines standardisierten Instruments, sondern es macht den Eindruck eher einer sehr individuellen Ausgestaltung von einzelnen Ornamenten.
00:03:47:04 - 00:04:44:06 Olaf Kirsch
Also wir befinden uns ja hier quasi in einem viktorianischen Salon. Das Instrument ist nicht für einen anonymen Konzertsaal eigentlich gedacht, sondern man hat es möglicherweise sogar als zentrales Stück der häuslichen Wohnung betrachtet. Und wir haben also ganz im Geschmack der Zeit hier Mahagonifurnier, hier solche schönen Schnitzereien, diese bei balusterartigen Beine. Und wir sind ja noch in einer Zeit, in der man nicht einfach den Lichtschalter drücken konnte und das Licht ging an. Wir brauchten noch Kerzenbeleuchtung. Und hier gibt es so schöne, durchbrochene Arbeit ausgeführten Platten, die sind beweglich. Ich kann sie ein Stück vorziehen, so dass ich meinen Kerzenleuchter dann dort positionieren kann und also meine Noten auch beleuchtet habe, sodass ich also auch in den Abendstunden dann im Salon musizieren kann.
00:04:44:15 - 00:05:03:24 Hans Bäßler
Könnten Sie den unterschiedlichen Klang noch einmal beschreiben? Beim letzten Mal haben wir uns einen Pleyel-Flügel angesehen, jetzt einen Broadwood. Wir wissen auch, dass Broadwood einen gewissen Einfluss auf Pleyel wiederum gehabt hat. Aber gibt es Unterschiede in der Stilistik?
00:05:04:05 - 00:07:17:06 Olaf Kirsch
Also ganz grundsätzlich sollte man vielleicht noch mal sagen, dass es eben seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eigentlich schon die beiden sehr unterschiedlich ausgerichteten Traditionen des Wiener Instrumentenbaus und des Englischen Instrumentenbaus gab. Und die Engländer haben sehr früh versucht, klangstarke, voluminöse Instrumente herstellen zu können, weil es große Säle in London gegeben hat und weil die Musiker das auch gefordert haben. Es gibt ein Zitat, über das man nachdenken kann von Ludwig van Beethoven, unbestritten einer der größten Klavierkomponisten und zu Lebzeiten auch Klaviervirtuosen seiner Zeit. Und er sagt in der Korrespondenz mit einem Wiener Klavierbauer, es müsse doch mal dahin gebracht werden, dass das Klavier sich von der Harfe unterscheidet, dass es ein anderes Instrument wird. Das heißt, er möchte ein Instrument haben mit einem kantablen Klang, es also nicht so zupfinstrumenten-ähnlich ist wie der Klang einer Harfe, dass man große Melodiebögen, wie wir das eben gerade dann bei Chopin, bei Schumann und so weiter finden, auch spielen kann. Und die Instrumentenbauer machen sich eben die Techniken der Industrialisierung zunutze, die dann ja über diese englische Strömung dann auch bei Pleyel in Paris Eingang finden, dass man Stahllegierungen hat, die sehr reißfest sind, dass man also einen enormen Saitenzug entwickeln kann. Dafür muss aber das ganze Instrument dann dementsprechend umgewandelt werden. Das reicht ja nicht, dass ich diese stark gespannte Saite habe. Die muss entsprechend stark angeschlagen werden, damit ein Ton produziert wird. Und da kommt wieder das Problem auf: Den Hammer muss ich irgendwie gut abpolstern. Bei den Wiener Instrumenten habe ich eine Lederschicht auf dem Hammer, die gegen diese dünnen Saiten schlägt. Broadwood arbeitet mit einer Filzbespannung der Hämmer, wie wir das heute im Prinzip noch machen. Ein eigentlich weiches Material, das aber ermöglicht, große Kräfte auf diese stark gespannten Saiten zu übertragen, so dass ich also einen vollen Klang habe, der aber nicht harsch, nicht metallisch eigentlich klingt, sondern eher ein angenehm weiches Klangbild aufweist.
00:07:18:12 - 00:07:35:04 Hans Bäßler
Bei Pleyel würde man sagen, ist der entsprechende Komponist Frederic Chopin. Was würden Sie sagen? Für welchen Komponisten sollte man gerade einen Broadwood verwenden?
00:07:35:20 - 00:08:27:03 Olaf Kirsch
Also bei Pleyel und Chopin haben wir jetzt ja eine sehr persönliche Beziehung von Chopin gerade zu diesen Instrumenten und auch zur Familie des Instrumentenbauers. Bei Broadway, würde ich sagen: Viele Musiker der Zeit haben diese Instrumente verwendet, wenn sie nach einer solchen persönlichen Beziehung fragen. Copin hat sogar auf seiner Englandtournee Ende seines Lebens, als er schon recht krank war - ist er von Broadwood sehr unterstützt worden - Instrumente von Broadwood gespielt und hat gesagt, Broadwood sei der englische Pleyel. Wir wissen, dass Felix Mendelssohn Bartholdy bei der Queen im Buckingham Palace auf einem Broadwood-Tafelklavier musiziert hat. Also Mendelssohn ist ein Komponist der Zeit oder eben Clara Schumann, die diese Instrumente von Broadwood gespielt haben.
00:08:28:14 - 00:08:49:08 Hans Bäßler
Herzlichen Dank. Hier haben wir einen Einblick gewonnen in eine neue Zeit. Die neue Zeit heißt Industrialisierung. Das heißt aber nicht automatisch eine Verschlechterung des Klangs, sondern ganz im Gegenteil, eine größere Zuverlässigkeit im Bau von Klavieren, von Flügeln, von Tafelinstrumenten.
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R. Schumann: aus den Kinderszenen Op. 15
Träumerei- Hasche-Mann - Wichtige Begebenheit - Der Dichter spricht
Hubert Rutkowski, Prof. für Klavier an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg
Im Vergleich: Broadwood (1841) / Steinway D (2022)
Schumanns „Kinderszenen“ op. 15 gehören zu den sensibelsten und gleichzeitig prägnantesten Werken der Klaviermusik und sind insofern etwa mit Schönbergs op. 19 vergleichbar. Die Schumann-Miniaturen verlangen vom Pianisten eine klangliche Gestaltung, die letztlich auf einer Balance zwischen den verschiedenen Ebenen beruht.
Dem Pianisten dieser Aufnahme gelingt es, Struktur und Gestus der Musik mit dem ausgewählten Broadwood-Flügel an vier Beispielen aus der Sammlung zu vermitteln: „Träumerei“, „Haschemann“, „Wichtige Begebenheit“, und „Der Dichter spricht“. Der Klang des Flügels scheint nur im ersten Moment mit dem eines modernen Instrumentes gleich zu sein. Tatsächlich lässt das historische Instrument jedoch ein Mehr an Farben zu. Clara Schumann, die gern in ihren Programmen auch Werke ihres Mannes Robert spielte, schätzte die Broadwood-Flügel sehr. Neunzehn Konzertreisen nach England — und hier insbesondere London — gaben ihr reichlich Gelegenheit, die Klangmöglichkeiten der Broadwood-Flügel zu erproben.
Hammerflügel John Broadwood & Sons, London, 1841
Aus der Sammlung Musikinstrumente im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Steinway&Sons D-274 mit harmonischer Dämpfung
Aufgenommen im Showroom Steinway & Sons Hamburg
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