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Historische Klaviere - Im Spannungsfeld zwischen Instrumentenbau und Interpretationsgewohnheiten
Kursthemen
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Historische Klaviere - Teil 01 - Einleitung
Prof. Dr. Hans Bäßler im Gespräch mit Kurator Olaf Kirsch
Transcript:
00:00:07:23 - 00:00:41:05 Hans Bäßler
Wir befinden uns hier im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg, genauer gesagt im Saal, in dem die Sammlung der historischen Tasteninstrumente untergebracht ist. Heute ist bei uns der Kurator dieser Sammlung, der uns auch durch die Sammlung mit einigen Exponaten führen wird. Herr Kirsch, die Frage direkt an Sie: Welche Bedeutung hat unter europäischen Gesichtspunkten diese Sammlung, die ja unglaublich groß ist und zunächst den Betrachter fast erschlägt wegen der Fülle der einzelnen Exponate?
00:00:41:21 - 00:01:12:08 Olaf Kirsch
Ja, es gibt natürlich einige Sammlungen in Europa oder auch weltweit. Das ist aber schon eine bedeutende Sammlung, gerade im Bereich der besaiteten Tasteninstrumente. Also mit Ausnahme der Orgeln, alle Instrumente, die Tasten haben und wo Saiten für die Klangerzeugung verantwortlich sind, also Klaviere, Cembali. Und wir können hier tatsächlich von den frühesten erhaltenen Instrumenten, die wir überhaupt noch haben, aus der Renaissance bis zum modernen Konzertflügel im Prinzip die komplette Entwicklung darstellen.
00:01:13:07 - 00:01:24:15 Hans Bäßler
Das Spannende ist ja nun, das Museum hat diese Sammlung ja nicht selbst angeschafft, oder wenn, dann höchstens in Teilen. Der größte Teil ist geschenkt worden. Wie ist es dazu gekommen?
00:01:24:16 - 00:02:33:21 Olaf Kirsch
Ja, es ist eine wunderbare Stiftungsschenkung gewesen von dem Ehepaar Beurmann. Herr Beurmann ist studiert, Musikwissenschaftler, Physiker, hat aber als Schallplattenunternehmer dann sich auf dem Markt sehr erfolgreich getummelt und seit den 60er-Jahren auch historische Instrumente gesammelt. Es gibt so eine schöne Geschichte, die er als Kind erlebt hat, die er gerne mal erzählt hat: Seine Mutter war sehr musikalisch, hat gesungen und Herr Beurmann hat als Kind also schon natürlich dann Klavier gespielt. Und er erzählt: Er ist mal in einem Museum gewesen und ist da also als kleiner Junge auf so ein historisches Instrument zugestürzt und wollte da spielen. Und dann ist er vermutlich relativ unsanft von einem Aufseher dann am Schlawittchen gepackt worden: Das darfst du aber nicht, das ist ein kostbares historisches Instrument. Und Herr Beurmann sagt so etwas scherzhaft, das sei die Initialzündung gewesen für seine Sammlung. Er hat sich überlegt: Wenn ich groß bin, dann kaufe ich mir so ein Instrument selber, und dann kann ich so viel spielen, wie ich möchte. Und daraus hat er dann sehr sorgfältig sozusagen dieses Trauma abgearbeitet und diese Sammlung, wo wirklich alles vorhanden ist, zusammengetragen.
00:02:33:24 - 00:02:41:21 Hans Bäßler
Könnte man sagen, dass diese Sammlung durchaus einen Einfluss gehabt hat auf die Frage der historisch informierten Aufführungspraxis?
00:02:41:23 - 00:05:00:09 Olaf Kirsch
Also die Sammlung war ja früher privat bei Herrn Beurmann in den letzten Jahrzehnten auf einem Gutshaus in Schleswig-Holstein und eigentlich alle Pianisten, die in Hamburg in der Laeiszhalle oder Musikhalle, wie sie damals hieß, gespielt haben, hat Herr Beurmann auch zu sich eingeladen. Und er erzählt also mit strahlenden Augen, wie Arturo Benedetti Michelangeli mit ihm unter einem Flügel gelegen hat oder wie Lang Lang auf einem Cembalo bei ihm zu Hause die Goldberg Variationen gespielt hat. Und es ist ja so, dass gerade Pianisten, das ist ja jetzt auch das Thema unserer Filme, wenn man das so sagen kann, eigentlich relativ verspätet sich mit ihrer eigenen Geschichte beschäftigt haben. Also als schon im Prinzip ja schon seit der Jahrhundertwende um 1900 klar war, dass Bach eigentlich nicht auf einen Flügel, sondern auf Cembalo gehört; diese Geschichte ist schon sehr lange bekannt, dann Barockgeiger u. s. w. Aber Pianisten haben eigentlich erst in den letzten Jahrzehnten in größerer Zahl angefangen, sich damit zu beschäftigen, dass ein Klavier aus der Zeit von Mozart oder Beethoven oder selbst noch Schumann oder Brahms ja gar nicht dasselbe Instrument war, was üblicherweise heute in einem Konzertsaal gespielt wird. Und da sind natürlich solche historischen Instrumente ein wichtiges Orientierungsmittel, wo Pianisten das mal erfahren können. Und die Sammlung... Wir wissen im Museum ja gar nicht so sehr, wer jetzt alles bei Herrn Beurmann mal gewesen ist. Aber wie gesagt, die Creme de la Creme der Pianisten hat ihn dort in Hasselburg besucht und Herr Beurmann hat sie dann an seine Sammlung und die Instrumente herangeführt. Wir haben übrigens auch Nebenbemerkung ein ganz berühmtes Instrument im Haus, das schon vorher bei uns in der Sammlung war, was 1963 angekauft worden ist. Das berühmte Cembalo von Christian Zell, das in den 70er-Jahren dann sehr berühmt geworden ist, als es hier eine Reihe mit alter Musik gab, wo also diese Pioniere, vor allen Dingen aus den Niederlanden, Gustav Leonhard van Asperen hier musiziert haben. Und das Instrument ist wahrscheinlich tausendfach nachgebaut worden und jedem Cembalisten bekannt. Also so sind solche Sammlungen, wo solche historischen Instrumente erhalten werden, ja schon eine wichtige Anlaufstelle für Musiker, die sich für diese Fragen der Aufführungspraxis interessieren.
00:05:00:09 - 00:05:17:20 Hans Bäßler
Können Sie aber beschreiben, wie heute ganz aktuell diese Sammlung genutzt wird? Kommen Pianisten vorbei und spielen das eine oder andere an? Oder gibt es Konzerte hier in diesen Räumen, so dass das breitere Publikum dieses wahrnehmen kann?
00:05:18:14 - 00:06:40:00 Olaf Kirsch
Im Prinzip alles, was Sie sagen. Eben die Idee von Herrn Beurmann: Das soll eine klingende Sammlung, ein klingendes Museum sein. Wir machen in hoher Frequenz öffentliche Führungen. Es ist gar nicht so einfach, da qualifizierte Musiker zu finden, weil die ja natürlich in verschiedenen Repertoirebereichen zu Hause sein müssen und dann mit den Instrumenten entsprechend umgehen können. Aber so bieten wir das an und die Museumsbesucher und -besucherinnen haben also die Möglichkeit, einen Teil der Instrumente regelmäßig zu hören. Wir haben auch immer wieder Konzerte im Haus, gerade in Kooperation mit der Musikhochschule. Professor Rutkowski hat seit vielen Jahren hier auch eine Reihe initiiert, eine kleine Konzertreihe, wo Studierende der verschiedenen Klavierklassen der Hochschule von ihm an die Instrumente herangeführt werden und dann hier vor Publikum konzertiert wird. Es gibt Tonaufnahmen. Die Instrumente werden immer wieder von Musikern also auch angefragt, die Aufnahmen mit speziellen Instrumenten machen wollen für ein historisches Repertoire. Also es ist ein vielfältiges musikalisches Leben hier im Museum, wo man ja immer denkt: Museum, das klingt ja so ein bisschen verstaubt, da stehen alte Sachen in der Vitrine. Das ist genau nicht die Intention von Herrn Beurmann gewesen und nicht die Art, wie wir mit dieser Sammlung umgehen, sondern es soll lebendig sein, es soll möglichst genutzt werden.
00:06:40:08 - 00:07:02:13 Hans Bäßler
Sie haben eben schon die Kooperation mit der Hochschule für Musik und Theater Hamburg erwähnt. Wenn Sie jetzt einmal so zurückblicken: Haben Sie das Gefühl, dass die Studierenden, die jetzt hierherkommen und die ja immer von einem ganz traditionellen, was heißt traditionellen, einem modernen Konzertflügel hier zunächst ausgebildet sind, haben Sie das Gefühl, dass sich bei denen etwas bewegt?
00:07:02:15 - 00:08:16:19 Olaf Kirsch
Auf jeden Fall. Also wir haben ja auch in Kooperation dann mit der Klavierabteilung auch Seminare veranstaltet und Studierende hierher geführt. Und ich denke, das ist schon ein spannendes Erlebnis. Allein wenn man als Pianist, der normalerweise den modernen Flügel mit diesem riesigen Umfang, mit diesem großen Klangvolumen gewohnt ist, erfährt, dass ein Flügel zur Beethovenzeit viel weniger Tasten hatte, und dass der Umfang dieser Beethovensonaten genau das widerspiegelt, dass die höchsten Töne, die Beethoven zu einer bestimmten Zeit schreibt, auch die letzten Töne sind, die überhaupt auf dem Klavier vorhanden sind. Allein das ist ja eine Erkenntnis, wo ich von alleine normalerweise nicht darauf komme. Wenn ich an einem Flügel sitze, der sehr viel mehr Tasten hat, muss ich schon sehr aufmerksam sein, um festzustellen: Moment, das geht hier wieder bis zu dem F und in der nächsten [...] wieder bis zu dem F. Und sich dann zu überlegen: Warum hat er den Ton so gemocht? Nein, es ging einfach nicht weiter. Mehr Töne hatte es damals nicht. Und ich denke, es gab auch ja die Rückspiegelung, das Feedback von den Studierenden, dass es einfach eine tolle Erfahrung ist und ein toller Input, Instrumente aus wirklich der Zeit zu haben, aus der die Kompositionen sind, die man spielt.
00:08:16:24 - 00:08:31:03 Hans Bäßler
Mal eine ganz persönliche Frage: Können Sie eigentlich dann heute noch, wo Sie ja den Klang der historischen Instrumente geradezu internalisiert haben, können Sie eigentlich noch heute eine Beethovensonate auf einem modernen Flügel hören?
00:08:31:04 - 00:09:38:12 Olaf Kirsch
Durchaus, durchaus. Also das ist ja mit der Kunst schon so eine spannende Sache, dass es eigentlich nicht richtig und falsch gibt. Also und ich höre lieber einen genialen Pianisten mit seiner Interpretation auf dem modernen Flügel als irgendeinen Anfänger, der auf 'aber alles richtig' macht und jetzt auf dem richtigen Instrument spielt. Und das ist ja auch eine Erkenntnis. Wir sprechen ja heute von historisch informierter Aufführungspraxis. Das heißt, der Interpret hat ein Wissen, bleibt ja aber der Interpret der Musik. Und genauso wie es früher einen etwas wilderen, vielleicht temperamentvollen Interpreten gegeben hat und einen, dem es mehr um den Schönklang ging, das hat es ja historisch genauso gegeben wie heute. Insofern bleibt es ja immer die Interpretation. Und ich kann es genauso genießen, wenn es eben genial gespielt ist, umgesetzt auf einem modernen Instrument als wenn es gut gemacht ist, genial gespielt auf einem historischen Instrument. Das ist eben irgendwie das Besondere in der Kunst, denke ich.
00:09:38:12 - 00:10:01:06 Hans Bäßler
Daran, schließt sich für mich die Frage an: Wenn jetzt ein Pianist, eine Pianistin hier zu Ihnen kommt, in die Sammlung kommt und sich dafür interessiert, für ein bestimmtes Klangbild eines Instruments ist das dann der Ausflug ins Exotische oder ist das eine Veränderung eigener Überzeugungen?
00:10:03:21 - 00:12:28:11 Olaf Kirsch
Also ich würde nicht denken, dass das ein Ausflug ins Exotische ist, wobei das eben lange Jahrzehnte für Pianisten wahrscheinlich genau das gewesen ist, die gedacht haben: Ach, guck mal so komische Instrumente hatten die früher. Aber das sind genau die Instrumente, für die die Musiker geschrieben haben und deren Klangbild sie ja im Kopf und im Ohr hatten, als sie ihre Werke verfasst haben. Nun kann man natürlich immer sagen: Es gibt eben diese Position; gerade bei Beethoven ist so ein Beispiel diese Lebenszeit. Beethoven war eben die Zeit, wo eigentlich das Klavier sich auch am schnellsten weiterentwickelt hat. Und man kann natürlich sagen, und manche tun das und sagen: Ja, der arme Beethoven musste mit diesen Instrumenten irgendwie zurechtkommen, aber eigentlich wollte er ja doch den modernen Flügel haben. Das ist, glaube ich, aber ein Anachronismus. Es ist falsch. Das kann man, so glaube ich, nicht sagen. Denn wenn er den modernen Flügel hätte haben wollen, dann hätte er auch irgendwie mit der Straßenbahn oder mit dem Zug fahren müssen und telefonieren können und so weiter. Das heißt, wir sind einfach in einer anderen Zeit und die Instrumente sind nun ein gutes Mittel, weil: Wie erfahren wir von dieser Zeit? Also wir können natürlich Bücher lesen und es gibt ja auch Lehrwerke und da stehen dann Dinge drin, aber das ist ja doch immer schon eine Übersetzung in ein anderes Medium. Und das Medium der Sprache: Kann ich das überhaupt richtig verstehen? Und so weiter. Und die Instrumente, die sind ja nun materiell. Und dann weiß ich: Also der Saitenzug war viel geringer, die Instrumente waren viel leichter, sie klangen viel transparenter und so weiter. Das sind Dinge, mit denen ich sozusagen einen direkten Zugang zu einer Zeit habe, von vor 200 Jahren. Insofern denke ich nicht, dass es ein Ausflug ins Exotische ist, sondern eine Quelle, genau wie ein Lehrwerk. Carl Philipp Emanuel Bachs berühmter "Versuch über die wahre Art, das Klavier zu spielen" kann ich studieren. Ich kann aber auch einen Hammerflügel von Johann Andreas Stein aus der Mozartzeit angucken - auch eine Quelle, da kann ich viel lernen. Ich kann als Künstler dann den Schluss daraus ziehen: Mensch, ich finde das so toll, ich will jetzt nur noch auf diesem historischen Flügel spielen, dann werde ich Experte für historische Aufführungspraxis. Oder ich ziehe den Schluss: Ich habe die und die Dinge gelernt und setze das jetzt in meiner Interpretation auf dem modernen Flügel in der und der Weise um. Das ist eine andere Möglichkeit, die ich nachvollziehen kann.
00:12:30:07 - 00:12:53:21 Hans Bäßler
Nun stellt man sich bei einem Kurator vor, er ist dazu da, dass etwas bewahrt wird, etwas historisch bewahrt wird, das ihm, dem Historischen, nichts zu Schaden kommt. Ich stelle mir jetzt aber vor, gerade wenn wir jetzt noch so miteinander sprechen, gibt es etwas, von dem Sie sagen würden: Ich als Kurator habe noch folgenden Wunsch an diese Sammlung
00:12:53:21 - 00:14:52:07 Olaf Kirsch
Also "curare" heißt ja irgendwie "pflegen", "sich kümmern um" aus dem Lateinischen übersetzt. Und bei Musikinstrumenten ist ja dann die Frage: Was will man bewahren? Also will man das Holz und das Metall des Instrumentes bewahren oder will man eigentlich ein klingendes Objekt bewahren? Das ist ein sehr kompliziertes, komplexes Thema, wo wir sicher auch fünf Filme drüber jetzt drehen können. Ein interessantes Argument von Herrn Beurmann selbst ist Folgendes; er sagt: Den größten Verlust an historischen Instrumenten, gerade Cembali haben wir im 19. Jahrhundert. Warum? Im 19. Jahrhundert wird das Klavier modern. Dieses alte Zeug, dieses Cembalo aus dem 18. Jahrhundert, aus der Barockzeit, man hatte keine Achtsamkeit dafür. Die Dinge sind vergammelt, sind verbrannt worden, was weiß ich. Die größte Vernichtung findet statt, als man sich nicht kümmert, Und nun kann man sagen: Wir spielen die Instrumente ja hier. Das setzt natürlich voraus, dass sie in einem restauratorisch derartigen Zustand sind, dass sie einigermaßen adäquat den Klang wiedergeben, wie er mal sein sollte. Und es gibt ja heutzutage hochspezialisierte Instrumentenbauer, Cembalobauer, Hammerflügelspezialisten. Wir beauftragen seitdem die Sammlung hier im Haus ist, seit dem Jahr 2000, also jetzt seit 20 Jahren, einen solchen Spezialisten, die Sammlung hier instand zu halten und Verschleißteile auszutauschen und so weiter. Und nun kann man sagen: Vielleicht ist das mehr Kümmern, Pflegen, Curare als ich stell das Instrument in eine Vitrine, mache nach 100 Jahren die Vitrine auf und stelle fest: Oh, das funktioniert ja gar nicht mehr, das ist ja vergammelt in dieser Vitrine. Das wäre sozusagen ein Argument zu sagen: Die Benutzung und die professionelle Betreuung auch aus instrumentenbaulicher Warte ist eigentlich ein Kümmern um diese Objekte.
00:14:52:07 - 00:15:32:08 Hans Bäßler
Herzlichen Dank für diese nicht nur allgemein, sondern auch schon sehr präzisen Hinweise zur Ästhetik, zur Klangästhetik, zu der Besonderheit dieses wirklich einmaligen Schatzes, den die Hansestadt Hamburg hier in ihren Räumen birgt. Das nächste Mal werden wir uns jetzt mit einzelnen Instrumenten beschäftigen. Insgesamt sind es vier Instrumente, die uns wichtig sind, weil man an ihnen sehr schön zeigen kann, wie durch die Veränderung des Instrumentenbaus sich der Klang verändert und damit auch zwangsläufig die Interpretation von diesem veränderten Klang bestimmt ist.
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