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Historische Klaviere - Im Spannungsfeld zwischen Instrumentenbau und Interpretationsgewohnheiten
Topic outline
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Joseph Brodmann wurde 1763 in Deuna, Preußen geboren. Als junger Mann kam er nach Wien und wurde Lehrling des prominenten Klavierbauers Friedrich Hoffmann. Aus heutiger Sicht gilt er als einer der interessantesten Klavierbauer; er erzielte durch seine Entwicklungsarbeit neue Möglichkeiten des Saitenzuges und erreichte eine größere Festigkeit, ohne den Resonanzboden damit zu gefährden. Besonders auffällig ist der Obertonreichtum seiner Instrumente.
Historische Klaviere - Teil 02 Hammerflügel Brodmann (Wien, um 1815)
Prof. Dr. Hans Bäßler im Gespräch mit Kurator Olaf Kirsch
Hammerflügel Joseph Brodmann (1763–1848) Wien, um 1815 F1–f4 Nussbaum, Fichte, Ebenholz, diverse Hölzer, Elfenbein 230 x 119,5 x 87 cm (Zarge 28,5 cm) Inv. Nr. 2000.587 | Sammlung Prof. Dr. Andreas Beurmann
Transcript:
00:00:08:01 - 00:00:36:04 Hans Bäßler
Wir befinden uns hier wieder im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Bei uns ist der Kurator Olaf Kirsch, der uns Details zu einzelnen Instrumenten genauer beschreiben wird. In diesem konkreten Fall wird es um einen Brodmann-Flügel gehen aus dem Jahre 1815. Herr Kirsch, was kann man über die Familie Brodmann sagen und die Manufaktur, die damals in Wien entstanden war?
00:00:36:07 - 00:01:17:17 Olaf Kirsch
Ja, Brodmann war ein sehr erfolgreicher Klavierbauer in Wien. Wir reden in der Zeit um etwa eine Anzahl von 100 Instrumentenbauern, die in dieser Welthauptstadt der Musik damals hier tätig waren. Brodmann war so erfolgreich, dass er im frühen 19. Jahrhundert Vorsteher des Klaviermachergewerbes geworden ist. Er war aber kein gebürtiger Wiener, wie wir das bei einigen Handwerkern in Wien finden. Wien hatte einfach als wirtschaftlich prosperierende Stadt eine große Anziehungskraft. Ursprünglich stammte Brodmann aus dem Thüringischen, ist dann nach Wien eingewandert und hat dort eben erfolgreich seine Firma etablieren können.
00:01:18:16 - 00:01:22:23 Hans Bäßler
Herr Kirsch, für was für einen Raum ist eigentlich dieses Instrument gedacht?
00:01:23:06 - 00:01:53:06 Olaf Kirsch
Ja, wir sehen ja diese Flügel dieser Zeit das ganze 19. Jahrhundert hindurch eigentlich noch holz-sichtig, wie wir sagen. Man sieht also schöne Furnierhölzer hier, schönes Nussbaumfurnier. Und wir können uns es natürlich schön in einem Salon vorstellen mit ähnlichen Möbeln, Tischen, Stühlen, Schränken und so weiter eingerichtet, dass es ein edles Einrichtungsstück auch ist. Eigentlich gar nicht so sehr ein Instrument, was wir jetzt auf der Bühne eines Konzertsaals vermuten würden.
00:01:53:06 - 00:02:15:01 Hans Bäßler
Das erste, was mir aufgefallen ist an diesem wunderbaren Instrument, das ist einerseits die Pedalaufhängung und dann aber insbesondere, dass dieser Flügel vier Pedale hat. Wir kennen normalerweise aus den häuslichen Instrumenten zwei Pedale oder auch manchmal ein drittes Pedal. Aber vier Pedale ist das nicht eigentlich ein bisschen viel?
00:02:15:12 - 00:03:22:10 Olaf Kirsch
Ja, das ist natürlich etwas, was den modernen Pianisten erst mal erstaunt. Wir haben jetzt vier Pedale, es gibt sogar Wiener Flügel mit noch mehr Pedalen, mit fünf, sechs Pedalen. Man muss sagen, dass die Wiener Instrumentenbauer, die sich stark in eigentlich eine eigene Tradition herausgebildet hatten, die sich stark von dem englischen Instrumentenbauer der Zeit unterscheidet. Die Wiener Instrumentenbauer hatten lange Zeit noch gar keine Pedale, sondern hatten Kniehebel, die man also von unten mit dem Knie betätigt hat. Und wenn man genau hinschaut, finden wir hier nämlich so einen Kniehebel noch übrig geblieben. Insofern hat das Instrument eigentlich sogar fünf Funktionen; vier mit dem Fuß und eines wird noch mit dem Knie betätigt. Der moderne Pianist kennt, wie gesagt, heute drei Pedale und das eigentlich am meisten Verwendung regelmäßig findende Pedal ist dieses Dämpfungsaufhebungspedal. Die Saiten sind normalerweise eben abgedämpft. Wenn ich einen Ton spiele, den Finger von der Taste nehme, fällt der Dämpfer in dem Moment wieder auf die Saite zurück und der Ton hört auf.
00:03:22:13 - 00:03:23:19 Hans Bäßler
Können Sie das mal vorführen?
00:03:23:22 - 00:03:24:14 Olaf Kirsch
Ich zeige das mal eben.
00:03:24:14 - 00:03:31:03 Musik [Klang]
00:03:31:03 - 00:03:57:06 Olaf Kirsch
Und Sie können hier schon sehen, dass hier aus dieser Leiste etwas sich aufwärts bewegt. Das ist dieser einzelne Dämpfer für diesen Ton. Wenn ich jetzt auf das rechte Pedal trete, dann sehen Sie, dass diese ganze Leiste sich hebt. Sie können, genau, drunter herschauen unter den Dämpfer. Die Dämpfer sind jetzt von den Saiten genommen. Natürlich, wenn ich jetzt anschlage, dann klingt der Ton weiter.
00:03:57:06 - 00:03:57:16 Musik [Klang]
00:04:03:10 - 00:04:04:08 Olaf Kirsch
Und nicht erschrecken. [Leiste fällt zurück]
00:04:06:22 - 00:04:07:22 Hans Bäßler
Das war ein bisschen laut.
00:04:07:22 - 00:04:55:10 Olaf Kirsch
Das war ein bisschen laut. Genau. Das kann natürlich in der Musik so schlecht passieren, dass der Spieler [C2 erklingt] ein Pedalwechsel vollziehen will [Leiste fällt zurück] und das klingt so. Das heißt, das ist bei den Wiener Instrumenten der Zeit noch so gedacht, dass die Pedalisierung fast mehr wie eine Registerfarbe ist und man längere Flächen pedalisiert hat. Ich kann nicht, wie das später in der romantischen Literatur ist, schnelle Pedalwechsel machen auf einen Akkord oder so, sondern ich kann das nur sehr langsam bedienen. Also schon das ist vielleicht ein interessanter Aspekt, obwohl wir dieses Pedal vom modernen Instrument auch kennen, dass es in der Zeit anders verwendet werden musste und nicht im modernen Sinne verwendet werden konnte.
00:04:56:01 - 00:04:59:00 Hans Bäßler
Und wie sieht es aus mit dem ganz linken Pedal?
00:04:59:00 - 00:06:14:05 Olaf Kirsch
Das ganz linke Pedal kennt der moderne Pianist auch. Das ist das sogenannte Una-Corda-Pedal. Wenn ich das betätige und man genau die Tasten anschaut, sieht man, dass die Tasten ein Stück zur Seite geschoben werden. Das heißt, die ganze Mechanik wird mit der Tastatur zur Seite gerückt. Und ich habe bei diesem Flügel eine dreichörige Bespannung. Das heißt, für jeden Ton habe ich drei Saiten vom allertiefsten Ton unten bis zum höchsten Ton oben jeweils drei Seiten. Der Hammer, wenn ich eine Taste betätige, schlägt diese drei Seiten an. Und jetzt verschiebe ich die ganze Mechanik, ziehe sozusagen die Hämmer unter den Saiten weg und der Hammer trifft nur noch zwei oder nur noch eine dieser Saiten. Das heißt, ich bekomme einen gedeckteren, intimeren Klang dabei. Das gibt es beim heutigen Flügel auch. Wobei witzigerweise ein heutiger Flügel hat im Bass ja nur noch eine dicke, umsponnene Saite, da kann ich den Hammer gar nicht mehr drunter wegziehen, er muss ja die Saite treffen. Da habe ich dann den Effekt, dass eben ein Teil des Hammers, der nicht so fest eingeschlagen ist, sondern weicher ist, dass der Hammer also mit dem Filz am Rand diese Saite trifft. Hier habe ich aber wirklich diesen Effekt über den gesamten Klaviaturbereich des Instrumentes.
00:06:14:05 - 00:06:27:24 Hans Bäßler
Ich habe eine Zwischenfrage, bevor wir jetzt auf die beiden mittleren Pedale noch zu sprechen kommen. Kann man am Notenmaterial erkennen, wie ein Komponist sich den Einsatz der Pedale vorstellt?
00:06:27:24 - 00:07:09:04 Olaf Kirsch
Relativ wenig. Also wir haben ab Beethoven schon vermehrt Einzeichnungen. Berühmtestes Beispiel ist die Mondscheinsonate, wo er in dem berühmten langsamen Satz schreibt: "Der ganze Satz ohne Dämpfer", was eben hier meint: Ich hebe die Dämpfer. Wir haben aber eigentlich keine Einträge bei Beethoven, Schubert, was jetzt die spezielleren Effekte angeht. Das heißt, da sind wir auf Mutmaßungen, vielleicht einzelne Quellenberichte angewiesen. Heißt Piano, ich soll jetzt ein Pedal treten?
00:07:09:04 - 00:07:11:21 Hans Bäßler
Und was machen jetzt die beiden anderen Pedale?
00:07:11:21 - 00:07:45:11 Olaf Kirsch
Genau. Das sind Effekte, die wir heute beim Klavier so nicht mehr kennen. Bzw. beim Flügel zumindest. Das hier kennen wir eigentlich von Klavieren zu Hause noch so als Übedämpfer, um die Nachbarn nicht zu stören. War aber hier nicht so gemeint, sondern war eine Klangveränderung. Die Hämmer sind bei diesem Instrument mit Leder bezogen. Heute sind sie ja mit Filz bezogen. Das heißt, der Klang ist irgendwie etwas heller, brillanter. Wenn ich hier so eine Tonfolge spiel...
00:07:47:03 - 00:07:49:01 Musik [Tonfolge erklingt]
00:07:49:01 - 00:07:51:09 Olaf Kirsch
... und jetzt trete ich hier drauf...
00:07:51:09 - 00:07:56:17 Musik [dieselbe Tonfolge erklingt gedämpfter]
00:07:56:17 - 00:07:59:20 Olaf Kirsch
...hören Sie den Klang sehr stark...
00:07:59:20 - 00:08:00:07 Hans Bäßler
Extrem.
00:08:00:07 - 00:08:33:17 Olaf Kirsch
...verändert. Da wird eine Leiste zwischen die Hämmer und die Saiten geschoben und der Hammer muss also durch diese Textilleiste hindurchschlagen. Jetzt haben wir hier noch ein Pedal fast unterschlagen. Früher hatten die Wiener Klaviere nämlich noch keine Fußpedale, sondern hier so Kniepedale. Und davon ist hier eins übrig geblieben. Und man sieht, dass das mit diesem Pedal gekoppelt ist. Das bringt diese Moderatorleiste nur halb nach vorne. Und dann habe ich nicht den doppelten, sondern den einfachen Moderator.
00:08:33:17 - 00:08:39:00 Musik [dieselbe Tonfolge erklingt halb gedämpft]
00:08:39:00 - 00:08:40:04 Olaf Kirsch
Jetzt spiele ich das noch weiter mit dem Pedal.
00:08:40:04 - 00:08:46:13 Musik [dieselbe Tonfolge erklingt in drei unterschiedlichen Färbungen]
00:08:46:13 - 00:08:50:01 Olaf Kirsch
Ich habe also drei Möglichkeiten der Klangeinstellung.
00:08:50:15 - 00:09:05:20 Hans Bäßler
Haben Sie eine Erklärung dafür, dass die Komponisten solche Effekte, die ja eigentlich konstitutiv für den späteren Klang eine Interpretation werden können, nicht weiter ausgeführt haben in den Noten?
00:09:05:20 - 00:09:58:23 Olaf Kirsch
Vielleicht war das tatsächlich eher eine Interpretationsmöglichkeit, vielleicht weil nicht alle Instrumente mit denselben Effekten ausgestattet waren, dass man es eher dem Spieler überlassen hat. Was für uns Nachgeborenen heute natürlich schwierig ist zu entscheiden: Heißt jetzt ein Piano oder ein Pianissimo bei Schubert, bei Beethoven, ich soll den Moderator verwenden, oder heißt das das nicht? Übrigens eine ganz interessante Nebenbemerkung vielleicht noch zu einem Komponisten sehr viel späterer Zeit, aber auch in Wien eben vor Ort. Die Zweite Wiener Schule, Arnold Schönberg. In den Klavierstücken op. 11 gibt es eine Anweisung, die eigentlich nur zu verstehen ist, dass sie so einen Moderator meint. Und wir wissen, dass Flügel zu Schönbergs Zeit, die man zum Hausgebrauch hatte, auch noch so einen Moderatoreffekt hatten.
00:09:59:15 - 00:10:07:22 Hans Bäßler
Dann wäre ja interessant zu wissen: Der vorletzte; also das zweite Pedal von links.
00:10:07:22 - 00:10:54:05 Olaf Kirsch
Ja, das wird jetzt immer exotischer, sozusagen. Also Dämpfungsaufhebung, Una-Corda kennen wir heute auch, der Moderator erzeugt irgendwie einen leiseren, intimeren Klang. Das können wir uns auch irgendwie vorstellen. Wenn ich Ihnen jetzt sage, das ist ein Fagott-Effekt, dann werden Sie staunen und alle Fagottisten werden wahrscheinlich sofort protestieren. Das ist fast eine Sache, wo man schon sagen kann, wie John Cage später das präparierte Klavier verwendet hat. Schauen Sie, hier gibt es eine Leiste auf der linken Seite, also auf der Basshälfte, die sich hinabsenkt, wenn ich das Pedal betätige. Da ist eine Pergamentrolle untergeleimt, die auf die Saiten aufgelegt wird. Und Sie können sich schon vorstellen, was passiert. Die schnarrt so mit.
00:10:54:05 - 00:11:02:13 Musik [Tonfolge erklingt, scharrend]
00:11:02:13 - 00:11:03:06 Olaf Kirsch
Ich nehme das noch mal weg.
00:11:03:06 - 00:11:03:14 Musik [dieselbe Tonforlge erklingt ohne Fagott-Pedal]
00:11:13:08 - 00:11:51:11 Olaf Kirsch
Also dieses schnarrende Klangbild eines Fagotts wird hier etwas nachgeahmt. Das ist hier sehr dezent, das ist ein sehr edles Instrument. Es gibt es auch etwas gröber bei anderen Instrumentenbauern. Was ganz interessant ist, das greift eben nur in der linken Hälfte, also nur im Bassbereich, die Spiellage des Fagotts. Ich habe die Möglichkeit also eine Melodie zu spielen, die davon dann nicht verändert wird, mit einer Begleitung in der linken Hand, mit dem Fagott. Jetzt fragen Sie mich aber nicht wieder: Hat Schubert das verwendet?
00:11:51:11 - 00:12:47:17 Hans Bäßler
Das ist ja fast so etwas wie eine Zweimanualigkeit der Orgel, wenn man auf der rechten Hälfte der Tastatur dann einen Cantus Firmus hat und auf der linken einen Begleitkontrapunkt, der dann anders klingt, um die Ebenen deutlich zu machen. Mich würde Folgendes interessieren. Wenn jetzt hier zu Ihnen - wir sprachen im ersten Film ja bereits darüber - Pianistinnen und Pianisten kommen, die sich die Instrumente nicht nur ansehen wollen, aus optischen Gründen vielleicht, sondern tatsächlich sagen “Ich will mich mit diesem Klang auseinandersetzen”, wie sie darauf reagieren, dass ein Brodmann-Flügel, der zur Beethoven-Zeit gebaut ist, dann auf einmal eine solche klangliche Vielfalt entwickeln kann, dass dieses Instrument unter Umständen fast so etwas wie eine Kritik an der bisherigen eigenen Spielweise ist.
00:12:47:17 - 00:15:30:20 Olaf Kirsch
Ja, das ist möglicherweise für den einen oder anderen schon ein Schock, erst mal ein Schockerlebnis. Damals hatte ich ja nicht das Glück, in so einer tollen Sammlung an originale Instrumente zu können. Als ich mich da mit dem Musikwissenschaftsstudium beschäftigte, kannte ist das von Tonaufnahmen. Und wenn man dann so ein Instrument nicht sieht und das dann von der Konserve kommt und das dann irgendwie einzuordnen, muss ich sagen, dass mir das erst richtig gelungen ist, eigentlich zu verstehen, was ich da höre von der Aufnahme als ich diese Möglichkeit mal hatte, diese echten Instrumente zu erleben. Wir lassen hier auch Studierende von der Hochschule heran. Die haben natürlich ihr Repertoire. Und Pianistik ist ja quasi Artistik. Und sie haben also ihre Reflexe und so weiter, alles eingeübt. Und jetzt hier dranzugehen und erst mal irgendwie die Apassionana zu spielen, führt zu Schwierigkeiten. Unter anderem dann die, wo ich als Museumskurator dann noch einschreite und sage: Wir wollen jetzt nicht Kleinholz aus dem Instrument machen. Interessant ist, eigentlich das Instrument erst mal abzuhorchen, wie so ein Arzt mit so einem Hörrohr. Und ich sage den Studierenden: Spielt ein paar Töne, es muss jetzt gar keine Komposition sein und guckt, was das Instrument so anbietet. Was ist der leiseste Ton, den ich spielen kann? Wo habe ich das Gefühl: Ah, weiter sollte ich jetzt nicht gehen. Das ist also so der Bereich, lauter sollte ich vielleicht nicht spielen. Und was passiert mit diesen ganzen Elementen? Und wenn man sich dann so mit dem Instrument vertraut gemacht hat - Künstler sind ja immer auch irgendwie Spieler, und dann spielt man damit und probiert aus - und dann kann ich meine Literatur nehmen, die ich einstudiert habe und ausprobieren mit einem langsamen Satz, nämlich den Moderator. Wie ist das überhaupt mit dem Pedal? Schnelle Pedalwechsel gehen eben nicht. Und dann gibt es eigentlich so einen Dialog zwischen Spieler und Instrument und dann kann ich da mir das Repertoire aus der Zeit aneignen. Und dann ist natürlich auch wichtig, dass es dann Lehrer gibt, die dann auch Hinweise geben und sagen: Was denkst du denn, wenn du das so machst und so? Und dadurch denke ich, lernt aber ein Musiker, eine Musikerin sehr viel zu reflektieren, dass das, was er/sie kennt vom modernen Flügel, nicht die einzige Möglichkeit ist und welche Möglichkeiten es eben zu der Zeit als die Musik geschrieben wurde gegeben hat.
00:15:32:13 - 00:15:42:06 Hans Bäßler
Wenn man hier die Tastatur sieht, dann fragt man sich natürlich spontan: Reicht die Tastatur aus, um beispielsweise die Hammerklavier-Sonate zu spielen?
00:15:42:06 - 00:16:44:13 Olaf Kirsch
Worauf Sie anspielen ist, dass der Tonumfang des Klaviers sich im 19. Jahrhundert allmählich vergrößert hat. Eigentlich müssten wir da genau umgekehrt denken. Eigentlich müssten wir die Tastatur eines modernen Flügels anstaunen. So viele Töne. Also Sie können nicht den höchsten Ton und den tiefsten Ton singen. Also ich weiß nicht, wie virtuos Sie singen. Das heißt, über den Umfang der menschlichen Stimme ist es irgendwann hinausgegangen und umfasst im Prinzip ja den Bereich vom Kontrabass bis zur Piccoloflöte. Und bei den Tasteninstrumenten war es historisch so, dass die Musik sich zunächst mehr oder weniger im Stimmumfang bewegte und man dann allmählich feststellte, durch so ein Instrument kann man sich aber größere Bereiche erobern. Und der Standard-Umfang noch für den jungen Beethoven was dieses f3 hier. Und die Wiener Instrumente hatten meistens einen Umfang von dem tiefen F1 hier unten von fünf Oktaven.
00:16:44:13 - 00:16:55:19 Musik [fünf Oktaven von F1 erklingen]
00:16:55:19 - 00:19:44:14 Olaf Kirsch
Mehr als die Hälfte aller Beethoven-Klaviersonaten spielte sich in dem Bereich ab. Und erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es dann Instrumente, die ein bisschen höher gingen bis zum c4, dann hier bis zum f4. Also in den späteren Werken von Beethoven und von Schubert wird dann dieser Bereich aber sehr schnell erobert. Das ist so ein bisschen eine Technik damals, wie heute die Computertechnik. Also ein 15 Jahre alter Computer, ist ja heute völlig veraltet und zu nichts mehr zu gebrauchen. Und damals müssen wir uns das so mit den Klavieren vorstellen. 1815 konnte man auf einem Klavier von 1805 die neueste Musik gar nicht mehr spielen, allein, weil der Umfang nicht reichte. Und neben dem Umfang ist ja eine spannende Frage für Pianisten: Wie ist das eigentlich mit dem Tastengang? Denn der Tastengang und die Frage des Tempos des Spielens korrelieren ja in gewisser Weise miteinander. Genauso wie die Frage des Tempos und des Gewichts eine Rolle spielen. Ja. Man muss wissen, dass es grundsätzlich zur Beethoven-Schubert-Zeit zwei ganz unterschiedliche Schulen des Klavierbaus gab, eben die Wiener Instrumente, im süddeutschen Bereich verbreiteten Instrumente, und die englischen Instrumente. Und ganz grundsätzlich wurden zwei unterschiedliche Mechaniken verwendet. Die Wiener Mechanik ist eine sogenannte Prellmechanik, die ein sehr leichtgängiges Spiel ermöglicht, sehr brillantes, sehr hellen Klang dieser Instrumente. Und wenn ich hier eine Taste herunter drücke, sehen Sie, dass sie einen sehr geringen Tiefgang hat. Das sind hier wahrscheinlich so sechs Millimeter. Heute haben wir gut zehn Millimeter, also fast halb so viel Spieltiefe. Die Mechanik ist sehr, sehr leichtgängig. Diese Saiten sind nicht umsponnen. Ich habe dünne Saiten, die nicht diesen enormen Zug haben. Alles zusammengenommen führt das zu einem Instrument mit einem sehr hellen, durchsichtigen, transparenten Klang, wo ich sehr schnell eigentlich brillant spielen kann. Schnelle Tonleitern, Trillerfiguren und so weiter. Ich muss es aber gewohnt sein. Ich muss auch meine Spieltechnik umstellen. Ich habe ja bei dem modernen Flügel viel mehr Masse, die ich bewegen muss, viel mehr Gewicht. Ein großes Thema in der Klavierpädagogik ist ja die Physiognomie des Spielers, wie ich Gewicht und so weiter hier einbringe. Und das brauche ich ja alles gar nicht, das stört mich, ich stolpere sozusagen über mein Gewicht, wenn ich das so gewohnt bin. Man hat damals eigentlich nur aus den Fingern mit leichtem Fingerspiel und Fingerbewegungen gespielt.
00:19:44:14 - 00:20:04:23 Hans Bäßler
Herr Kirsch, eine letzte Frage. Ich möchte gerne auch so ein Instrument haben. Und ich vermute mal, das Museum für Kunst und Gewerbe wird nicht bereit sein, mir das Instrument einfach zu verkaufen. Was kann ich machen, um jedenfalls diesen Klang auch zu bekommen?
00:20:06:03 - 00:20:48:22 Olaf Kirsch
Ja, da ja die sogenannte Alte-Musik-Bewegung, historische Aufführungspraxis inzwischen sich das ganze 19. Jahrhundert und die Klaviermusik auch erobert hat und man festgestellt hat, dass es durchaus Sinn macht, Schubert, Beethoven auf solchen Instrumenten zu spielen, gibt es heutzutage eben auch spezialisiertre Klavierbauer, die solche Instrumente wie vor 200 Jahren auch in einer kleinen Werkstatt in Einzelanfertigung anfertigen. Und Sie können sich also eine Kopie eines solchen Brodmann-Flügels kaufen. Und es gibt ja auch Pianisten, die mit solchen Instrumenten auf den Konzertpodien inzwischen unterwegs sind. Also, ich kann sie nur ermuntern.
00:20:48:22 - 00:21:16:02 Hans Bäßler
Herzlichen Dank. Wir kommen jetzt beim nächsten Mal dazu, dass wir uns mit einem Pleyel-Flügel beschäftigen werden, einem Flügel, der in Paris zur Zeit von Frederic Chopin eine große Rolle gespielt hat. Überhaupt, dass die Klavierbauerfamilie Pleyel ursprünglich auch aus Wien kommt und damals noch Playel hieß, wird uns dann beim nächsten Mal beschäftigen. Für heute aber herzlichen Dank.
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L. van Beethoven: Rondo C-Dur Op. 51 Nr. 1
Hubert Rutkowski, Prof. für Klavier an der Hochschule für Musik und Theater HamburgIm Vergleich: Brodmann 1815 / Steinway D (2022)
Die von Joseph Brodmann entwickelte Klangästhetik entspricht sehr genau der Beethovenschen Vorstellung eines durchsichtigen Klanges und der Möglichkeit, virtuos Passagen zu spielen. Insbesondere die Begleitung in der linken Hand kann hervorragend „abschattiert“ werden, während sich die Melodieführung in der rechten sehr gesanglich darüber legt. Was die Virtuosität angeht, so lässt sie sich durch die Leichtgängigkeit ausgezeichnet und ohne technische Risiken nachzeichnen. Gerade an diesem Instrument erkennt man — nicht zuletzt durch die engagierte Interpretation des Pianisten Hubert Rutkowski — den Unterschied der Klangerzeugung zwischen einem historischen und einem modernen Flügel. Zwar verfügt der moderne Steinway über ein wesentlich größeres Klangvolumen und klingt vielleicht ausgeglichener, jedoch werden in dem historischen Instrument die einzelnen Lagen, die Beethoven extensiv einsetzt, wesentlich differenzierter deutlich.
Historische Klaviere: Hammerflügel Joseph Brodmann, Wien um 1815
Aus der Sammlung Musikinstrumente im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Steinway&Sons D-274 mit harmonischer Dämpfung
Aufgenommen im Showroom Steinway & Sons Hamburg
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