You are currently in guest mode. Log in or register to fully use the HOOU platform.
Your advantages when registering:
- You can use chat and forums to exchange ideas.
- We will confirm your participation in some courses.
Historische Klaviere - Im Spannungsfeld zwischen Instrumentenbau und Interpretationsgewohnheiten
Topic outline
-
-
Steinway & Sons Flügel (New York 1871) im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
1853 wurde die Firma in New York gegründet, sie ging aus der Firma Steinweg hervor, die ursprünglich in Seesen ansässig war. 1850 zog die Familie nach Amerika. Heute gibt es zwei Produktionsstandorte - Hamburg und New York. Der hier vorgestellte Flügel von 1871 verfügt zwar nur in Nuancen über eine ganz besondere Art der Klangentwicklung, doch sie zeigt auch auf, wie weit sich im 19 Jahrhundert innerhalb von nur 55 Jahren die Klavier-Instrumente entwickelt haben. Dieser Steinway zeigt die Richtung auf, die man noch heute in fast allen Konzertsälen der Welt bevorzugt.
Historische Klaviere - Teil 04 - Konzertflügel Steinway (New York, 1872)
Prof. Dr. Hans Bäßler im Gespräch mit Kurator Olaf Kirsch
Konzertflügel Steinway & Sons New York, 1872 Herstellungs-Nr. 24 169 A2–a4 Palisander, Fichte, Ebenholz, diverse Hölzer und Metalle, Elfenbein 220 x 137,6 x 96,4 cm (Zarge 35,3 cm) Inv. Nr. 2020.214 | Sammlung Max Matthias
Transcript:
00:00:08:07 - 00:00:56:07 Hans Bäßler
1871. Wir stehen vor einem Flügel, der nicht aus Deutschland, nicht aus Frankreich, nicht aus England kommt. Er kommt aus New York und trägt als Erbauer den Namen Steinway. Dieser Flügel steht hier im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. Und bei uns ist der Kurator dieser großen Sammlung der Tasteninstrumente, Herr Olaf Kirsch. Und ihn frage ich als erstes: Der Name Steinway, sozusagen nach deutsch rückübersetzt heißt “Steinweg”. Ich habe schon mal gehört, es gibt auch einen Klavierbauer Steinweg in Braunschweig. Haben die irgendetwas miteinander zu tun?
00:00:56:13 - 00:01:41:15 Olaf Kirsch
Genau. Das ist dieselbe Familie. Der erste Klavierbauer der Familie war ein Heinrich Engelhard Steinweg, der dann in Seesen im Harz für seine Frau ein erstes Klavier gebaut hat, angeblich in seiner Küche. Und aufgrund der wirtschaftlichen Lage in Europa ist er dann 1850 mit einigen seiner Söhne ausgewandert nach New York, hat dort erst seine Söhne und selber noch die Nase in andere dortige Klavierbauerfirmen gesteckt, um neueste Erkenntnisse dort persönlich zu erfahren und hat sich dann 1853 in New York selbstständig gemacht mit seiner eigenen, ja weltweit heute renommierten erfolgreichen Firma. Und natürlich dann amerikanisiert nicht Steinweg, sondern Steinway.
00:01:41:23 - 00:02:04:08 Hans Bäßler
Inwieweit gibt es klangliche Unterschiede, wenn wir an die renommierte Firma Steinway die weltweit Flügel bereitstellt, denken, in Relation zu den europäischen Instrumenten? Wir haben Player kennengelernt, wir haben dann auch Broadwood aus London kennengelernt. Und inwieweit unterscheidet sich dieser Flügel von den anderen?
00:02:04:17 - 00:02:55:19 Olaf Kirsch
Ja, wir haben ja gesehen, dass - von den noch handwerklich arbeitenden Instrumentenbauern der Spät Wiener Klassik sozusagen aus der Zeit Beethovens und Schuberts - wir dann einen ersten Industrialisierungsanschub, auch im Instrumentenbau bei Broadwood, bei Pleyel feststellen können. Und die Entwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die führende Entwicklung, findet dann eben in den USA durch die Firma Steinway statt. Es sind eigentlich zwei Dinge, die bei dem Flügel das Besondere sind, die noch mal dazu führen, das Klangvolumen weiter zu steigern, um diesen vollen, satten Klang zu erzeugen. Man muss sich überlegen: Ein Saal wie die Carnegie Hall in New York muss gefüllt werden von einem Klavierspieler, einem Virtuosen im Zweifelsfall und dazu braucht man eben diese enorme Klangfülle.
00:02:56:01 - 00:04:11:08 Olaf Kirsch
Und man kann das ganz schön sehen, wenn man dort hineinschaut in das Instrument, Herr Bäßler. Man kommt zum einen auf die Idee: Wir haben ja diese umsponnenen dicken Saiten im Bassbereich. Und der Steg für diese Bassseiten wird hinter den anderen Steg für die höheren Saiten gelegt, so dass es ein Feld gibt, wo die direkt übereinander laufen, die sogenannte kreuzsaitige Bespannung. Das führt dazu, dass es dort Obertonanregungen gibt, wenn die Dämpfung gehoben ist, wenn das Pedal getreten ist. Und das führt dazu, dass der Klang dann noch voluminöser wird. Und zum anderen sehen wir hier alles, was so golden ist. Das ist die sogenannte Platte, eine gusseiserne Platte, die dann nur so goldfarben angestrichen, lackiert ist, was aus diesen einzelnen Streben, die wir bei Broadwood oder Pleyel gesehen haben, letztlich dann zusammengeführt wird, so dass wir eine enorm stabile Konstruktion haben, wir enorme Saitenzüge kompensieren können. Und der Zug von einem Konzertflügel heute beträgt hier etwa 20 Tonnen. Das heißt also, 20 Kleinwagen hängen sozusagen an der Beseitigung eines solchen Flügels. Und so ist diese enorme Klangmacht dieser Instrumente erklärbar.
00:04:12:06 - 00:04:23:23 Hans Bäßler
Wie ist das eigentlich mit den Stimmungen? Wir wissen von den frühen Instrumenten, dass sie häufiger gestimmt werden müssen. Gilt das eigentlich auch für dieses relativ gesehen späte Instrument?
00:04:25:18 - 00:05:08:00 Olaf Kirsch
Es kommt auf die Ansprüche an. Also wenn ich ein Instrument habe, was nur aus Holz gebaut ist und ich mache einmal das Fenster auf - es wird wärmer, es wird kälter -, reagiert das Holz natürlich sehr schnell und das Metall reagiert anders. Durch diese sehr massive Metallkonstruktion ist die Stimmhaltung sehr stabil. Trotzdem wird natürlich im professionellen Bereich - also wenn ein Künstler auftritt - der Flügel direkt vor dem Konzert gestimmt. Aber die Stimmhaltung ist natürlich sehr viel stabiler. Hier im Museum merken wir das schon, dass diese Flügel jetzt hier für den Museumsbetrieb längst nicht so häufig natürlich gestimmt werden, wie die älteren Instrumente.
00:05:08:16 - 00:05:12:00 Hans Bäßler
Gibt es zu genau diesem Flügel eigentlich noch eine Geschichte?
00:05:12:24 - 00:06:04:17 Olaf Kirsch
Zu genau diesem: Die Fabrik in New York wurde ja 1853 gegründet und man hat dann auch Instrumente auf dem europäischen Markt verkauft. Wir wissen unter anderem, dass Johannes Brahms etwa durchaus auf Steinway-Flügeln in seinen späten Lebensjahren auch gespielt hat. Und irgendwann hat man dann festgestellt, um auf dem europäischen Markt gut präsent zu sein, macht es Sinn, hier ein eigenes Werk zu gründen und hat 1880 hier in Hamburg in Bahrenfeld, also eine Schwesterfabrik gegründet, so dass heute Steinways in Hamburg und Steinways in New York produziert werden. Das Baujahr dieses Instruments ist ja vor Gründung der Hamburger Fabrik. Und wir wissen aus dem Firmenarchiv, dass das eines der Instrumente war, was aber damals aus New York direkt verschifft wurde und in Europa verkauft worden ist.
00:06:05:16 - 00:06:26:06 Hans Bäßler
Und das auf dem Hintergrund dessen, dass wir in Europa und speziell in Deutschland gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts emporschießende Klavierwerke oder -fabriken hatten. Das heißt auch wohl, dass ein Steinway wirklich etwas ganz Besonderes gewesen sein muss, wenn es von den USA hier nach Europa gekommen ist.
00:06:26:06 - 00:06:55:02 Olaf Kirsch
Genau, ganz richtig. Wie Sie sagen, es gab eine Unzahl von Firmen. Wir haben ja heute viel weniger Firmen durch die Zentralisierung des Marktes. Und die Bedarfe; es gab früher ja in jeder Stadt, so wie in Hamburg, mehrere Klavierhersteller. Das heißt, Steinway war einfach durch seine fortschrittliche Technik dann schon so etwas Besonderes, dass es tatsächlich auf dem Markt auch ankam, ein Instrument aus New York, aus Amerika nach Europa zu importieren.
00:06:56:13 - 00:07:06:12 Hans Bäßler
Zum Schluss eine ganz persönliche Frage. Sie haben jetzt unglaublich viele Instrumente hier stehen. An welches Instrument gehen Sie besonders gern?
00:07:07:22 - 00:07:42:24 Olaf Kirsch
Ja, man muss sehen, dass man nicht fatalerweise wie Herr Beurmann dann mit einer Sammlung endet, die ich mir aber natürlich überhaupt nicht leisten kann. Aber eigentlich ist es so, dass es am interessantesten ist, für die jeweilige Epoche das richtige Instrument zu haben. Also ich würde mich jetzt nicht unbedingt hier an diesen Steinway setzen, um irgendwie Mozart zu spielen, sondern dann vielleicht eher, um Brahms zu spielen, würde aber an einem der früheren Hammerflügel natürlich dann Mozart mal probieren, wie das klingt.
00:07:43:23 - 00:07:51:24 Hans Bäßler
Das würde aber bedeuten, es gibt keinen besseren oder schlechteren Klavierklang, sondern es gibt immer die jeweiligen für die jeweilige Zeit.
00:07:52:06 - 00:08:27:20 Olaf Kirsch
Also ich habe in Führungen gerne mal gesagt: Was ist eigentlich besser - Ein Fahrrad oder ein Auto? Das bekommt heute natürlich unter Umweltaspekten wieder noch eine ganz andere Dimension. Aber im Prinzip, wenn ich am Sonntag bei schönem Wetter einen Ausflug im Wald machen möchte, dann fahre ich mit dem Fahrrad und kann dann hören, wie die Vögel singen und bin langsam unterwegs und kann die Landschaft genießen. Wenn ich aber bei Regenwetter schnell mal ins Ruhrgebiet fahren möchte, dann nehme ich vielleicht doch lieber das Auto. Und so habe ich also für jede Epoche sozusagen mein richtiges Werkzeug.
00:08:28:20 - 00:08:49:18 Hans Bäßler
Haben Sie herzlichen Dank. Der Einblick, den Sie uns hier gewährt haben, ist faszinierend, weil die Vielfalt der Instrumente zeigt, dass es nicht den einen Klang gibt, nicht nur die eine ästhetische Idee, sondern dass jede Zeit jeweils neu ihre eigenen Vorstellungen realisiert. Herzlichen Dank.
-
J. Brahms: Intermezzo h-Moll Op. 119 Nr. 1
Hubert Rutkowski, Prof. für Klavier an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg
Im Verleich: Steinway & Sons (1871) / Steinway D
Ob Johannes Brahms je auf einem Steinway & Sons-Flügel gespielt hat, konnte nicht festgestellt werden, in jedem Fall aber konzertierte er 1880 in Bonn auf einem Flügel der Ursprungsfirma Steinweg. Mann kann man davon ausgehen, dass die historische Klangästhetik des hier präsentierten Flügels von 1871 aus New York ganz besonders dem der 4 Stücke op. 119 entsprach, die 1893 entstanden. Ähnlich wie bereits sein 1856 verstorbener Freund Robert Schumann arbeitet er im h-Moll-Intermezzo mit einem Gedanken, den er polyphon ausführt, ohne die melodische Linie zu vernachlässigen.
Konzertflügel Steinway & Sons, New York, 1872
Aus der Sammlung Musikinstrumente im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Steinway&Sons D-274 mit harmonischer Dämpfung
Aufgenommen im Showroom Steinway & Sons Hamburg
-