Die Gemeinwohl-Matrix im Detail
Website: | Hamburg Open Online University |
Kurs: | Einführung in die Gemeinwohl-Ökonomie |
Buch: | Die Gemeinwohl-Matrix im Detail |
Gedruckt von: | Gast |
Datum: | Sonntag, 5. Oktober 2025, 22:30 |
Beschreibung
Jetzt steigen wir in die Tiefe der Gemeinwohl-Bilanz und der dazugehörigen Matrix ein. Wir erläutern euch alle Wertesäulen, Stakeholder:innen und zeigen euch, wie genau die Matrix funktioniert und eingesetzt werden kann.
1. Einstieg
Die sozialökologische Ausrichtung von Unternehmen und Organisationen wird anhand einer Gemeinwohl-Matrix als Gemeinwohl-Bilanz mit einem Punktesystem dargestellt und so mit anderen Unternehmen vergleichbar gemacht. Das Matrix-Entwicklungsteam (Vgl. https://germany.econgood.org/tools/gemeinwohl-matrix/) der GWÖ-Bewegung hat die Matrix entwickelt, mit deren Hilfe ein Unternehmen die eigene Geschäftspraxis im Sinne der Nachhaltigkeit und des Gemeinwohls analysiert und bewertet.
Seit 2025 liegt die Bilanzversion 5.1 vor (vgl. https://germany.econgood.org/tools/gemeinwohl-matrix/ ). Die Gemeinwohl-Matrix liefert einen umfangreichen Fragenkatalog (360°-Nachhaltigkeitsmanagement), mit dessen Hilfe jedes Unternehmen die eigene Geschäftspraxis analysieren und bewerten kann.
Die 20 inhaltlichen Eckpunkte der Gemeinwohl-Bilanz ergeben sich aus der Kombination der vier Wertesäulen
- Menschenwürde,
- Solidarität und soziale Gerechtigkeit,
- Ökologische Nachhaltigkeit sowie
- Transparenz und Mitentscheidung
mit den Berührungsgruppen
- A. Lieferant:innen,
- B. Eigentümer:innen, Eigenkapital- und Finanzpartner:innen,
- C. Mitarbeitende und Arbeitspartner:innen,
- D. Kund:innen und Geschäftspartner:innen sowie
- E. Globale Gemeinschaft, Natur und Lebewesen.
1.1. Die Bilanzierung
Je nach Größe des Unternehmens und gewünschtem Intensivierungsgrad können eine Vollbilanz, eine Kompaktbilanz oder ein erster Fokusbericht als Einstieg erarbeitet werden. Anleitungen zur Erstellung stehen in frei zugänglichen Handbüchern zur Verfügung (vgl. https://germany.econgood.org/wp-content/uploads/sites/8/2025/02/ECOnGOOD_Arbeitsbuch_5_1.pdf )
Organisationen, die eine Gemeinwohl-Bilanz erstellen möchten, müssen zunächst einen Gemeinwohl-Bericht verfassen. Der Gemeinwohl-Bericht erfasst einerseits den Status-Quo der Nachhaltigkeit und Gemeinwohlorientierung aller wirtschaftlichen Aktivitäten einer Organisation aus einer 360°-Perspektive und liefert andererseits die Grundlage für den Beginn eines langfristig angelegten Organisationsentwicklungsprozesses (vgl. International Federation for the Economy for the Common Good e. V. 2022c).
Kleine Unternehmen können die Gemeinwohl-Bilanz eigenständig erstellen, größere Organisationen werden bei der Erstellung ihres Gemeinwohlberichts von speziell ausgebildeten Berater:innen begleitet. Am Ende des Analyseprozesses wird der Gemeinwohlbericht einem unabhängigen GWÖ-Auditor:innen-Team vorgelegt, das die finale Bewertung vornimmt.
1.2. Zweck der Gemeinwohl-Bilanz
Die Gemeinwohl-Bilanz dient der Dokumentation, Selbsteinschätzung und als Tool zur Organisationsentwicklung. Sie ist der Vorschlag eines Balanced-Scorecard-Ansatzes zur Messung der gesamtgesellschaftlichen Effekte aller Unternehmensaktivitäten (vgl. Felber 2014: 41). Mit Indikatoren kann die Verbesserung des Unternehmens geplant und ihre Umsetzung beobachtet werden. Diese messen u. a. Bereiche wie Vertrauenskultur, selbstorganisierte Arbeitsgestaltung, Kooperation mit Mitunternehmen, Offenheit und Transparenz. Die beteiligten Unternehmen profitieren von diesen Impulsen und erfahren von den Innovationen anderer Gemeinwohlunternehmen. Ferner wollen Pionierunternehmen mit ihrem Engagement in der GWÖ-Bewegung eine gesellschaftliche und politische Vision unterstützen und wirken so aktiv an der Transformation des Wirtschaftssystems mit. Indem sie den Bilanzierungsprozess durchlaufen, nehmen die Unternehmen für diese Ziele einen hohen Aufwand und zusätzliche Kosten auf sich.
1.3. Die Bilanz als Instrument der Nachhaltigkeitsberichtserstattung
Die Gemeinwohl-Bilanz als Instrument der Nachhaltigkeitsberichterstattung und -bewertung sowie der Organisationsentwicklung unterscheidet sich von anderen Instrumenten durch ihren politischen Anspruch. Auch bietet sie durch ihre thematische Reichweite und Tiefe das Potenzial, Unternehmen zu einer Auseinandersetzung mit sozialökologischen Themen anzuregen, die vorher nicht in ihrem Fokus standen. Blinde Flecken werden aufgedeckt, und zwar sowohl bei den Unternehmen, die eher am Anfang der Auseinandersetzung mit bestimmten sozialökologischen Themen stehen, als auch bei solchen, die schon tief eingestiegen sind. Unabhängig von den konkreten Stärken und Schwächen der GWÖ im Vergleich zu konkurrierenden Ansätzen ist die Gemeinwohl-Bilanz ein Instrument, das den Erfolg unternehmerischer Bemühungen um Nachhaltigkeit und Gemeinwohl bezogen auf das ganze Unternehmen misst und direkt als Handreichung für weiterführende Verbesserungen fungiert (vgl. Meynhardt, Fröhlich 2017: 174).
1.4. Die politische Perspektive
Es wird angestrebt, dass diese Auditfunktion an eine staatlich geregelte Kontrollinstanz übergeht bzw. das Audit von einer solchen kontrolliert wird. Das Fehlen einer staatlichen Instanz ist zurzeit vorwiegend darauf zurückzuführen, dass staatliche Instanzen einem anderen Wirtschaftsmodell verpflichtet sind. Die GWÖ transzendiert die ideologischen Grenzen dieses Wirtschaftsmodells und wird daher von staatlichen Instanzen noch vorsichtig betrachtet (vgl. Felber, Hofielen 2019: 6).
Die Gemeinwohl-Bilanz ist derzeit ein freiwilliges Instrument, das von Unternehmen selbst erstellt wird und soll später einen verpflichtenden Charakter annehmen. Unternehmen, die sich dem Modell anschließen, sollen in verschiedener Weise belohnt werden. Welche Elemente die Bilanz konkret enthalten soll, ist Gegenstand eines kontinuierlichen Entwicklungsprozesses, an dem viele Menschen beteiligt sind. Es soll ein Anreizsystem geschaffen werden, in dem zum einen durch Produktkennzeichnung und entsprechend hervorgerufene, sich ändernde Konsumentscheidungen Vorteile für bilanzierende Unternehmen generiert werden. „Zum anderen strebt die Bewegung eine differenzierende Behandlung von Unternehmen durch die Berücksichtigung der Gemeinwohl-Bilanz seitens staatlicher Instanzen an“ (Felber 2014).
2. Die Gemeinwohl-Matrix im Detail
2.2. Beispielfragen für die Gemeinwohlthemen
3. Die Bewertungsstufen
Die 20 Gemeinwohlthemen, die in den Schnittpunkten von Werten und Berührungsgruppen entstehen, beinhalten 39 Aspekte sowie 19 Negativaspekte, die zusammen in Gemeinwohlpunkten bewertet werden. Es sind bei jedem Aspekt aufeinanderfolgende Bewertungsstufen erreichbar: erste Schritte, fortgeschritten, erfahren und vorbildlich (vgl. Felber 2018: 34). Zusätzlich zu diesen Bewertungsstufen ist bei allen Aspekten auch eine Basislinie angegeben, die das Mindestmaß an gemeinwohlorientiertem Wirtschaften beschreibt. In den meisten Fällen umfasst die Basislinie die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften (vgl. Blachfellner et al. 2017: 9).
Die berichtende Organisation ordnet sich in dem Bewertungsprozess zunächst selbst in die Bewertungsstufen ein. Für die Bewertung muss sich eine Organisation Gedanken darüber machen, inwieweit sie die Kriterien der jeweiligen Bewertungsstufe erfüllt. Zum Nachweis für die Bewertung müssen entsprechende Informationen geliefert werden, die die Bewertung rechtfertigen (vgl. Blachfellner et al. 2018: 8 f.). Da die Bewertungsstufen aufeinander aufbauen, kann eine Einordnung in eine höhere Stufe nur dann erfolgen, wenn alle Kriterien der Vorstufe erfüllt sind. Jeder Bewertungsstufe ist ein Skalenbereich zugeordnet. Dieser gibt Auskunft darüber, wie weit sich eine Organisation in Bezug auf die jeweiligen Aspekte im Sinne des Gemeinwohls bereits entwickelt hat (vgl. Blachfellner et al. 2017: 9).
3.1. Skalenbereiche
Die nachfolgende Abbbildung liefert einen allgemeinen Überblick über die Bewertungsstufen und Skalenbereiche. Für die Aspekte der jeweiligen 20 Gemeinwohlthemen gibt es in den GWÖ-Handbüchern eine detailliertere Skala.
Es ist zu beachten, dass Negativaspekte zu einem Punktabzug führen können. Verletzt eine Organisation beispielsweise die Arbeitsnormen der International Labor Organization (ILO) durch eine offensichtlich geschlechterdiskriminierende Vergütung oder ungerechte Ausgestaltung der Arbeitsverträge (vgl. Blachfellner et al. 2017: 59).
3.2. Gesamtbewertung
Im Rahmen der Bewertung werden die Ergebnisse der 20 Gemeinwohlthemen zu einer Gesamtbewertung, der sog. Gemeinwohlpunktzahl, zusammengeführt. Je nach Bilanzvariante (vgl. folgende Abschnitte) erfolgt die Detailbewertung der Gemeinwohlorientierung einer Organisation auf unterschiedlichen Ebenen (vgl. Blachfellner et al. 2017: 10).
Bei der Variante der Vollbilanz werden alle Unteraspekte der 20 Gemeinwohlthemen auf einer Skala von 1 – 10 bewertet. Je nach Bedeutung der einzelnen Aspekte für das jeweilige Thema werden diese unterschiedlich gewichtet (gering, mittel, hoch, sehr hoch) und anhand dieser Gewichtungen im Bilanzrechner zur Gesamtbewertung eines Themas aufsummiert. Diese wird wiederum auf einer Skala von 1 – 10 angegeben (vgl. Blachfellner et al. 2017: 10).
Bei der Variante der Kompaktbilanz erfolgt keine Bewertung der einzelnen Unteraspekte. Die Bewertung erfolgt direkt auf der Themenebene auf einer Skala von 1 – 10 (vgl. Blachfellner et al. 2017: 10).
Zusätzlich zur Bewertung auf der Themenebene wird, wie bereits angesprochen, im Sinne einer Gesamtbewertung eine Gemeinwohlpunktzahl für eine Organisation errechnet, bei der maximal 1.000 und minimal – 3.600 Punkte erreicht werden können. Ausgangsbasis für die Gesamtbewertung bilden die Bewertungen der 20 Gemeinwohlthemen, bei denen jeweils 50 Punkte erreicht werden können. Da die Gemeinwohl-Bilanz sowohl von Unternehmen unabhängig von Branche, Größe und Rechtsform als auch von Vereinen, Gemeinden und Bildungseinrichtungen anwendbar ist und diese sehr unterschiedliche Wirkungen auf die Gesellschaft haben und mit unterschiedlichen Risiken konfrontiert sind, werden die Themen organisationsgerecht nach ihrer jeweiligen Bedeutung gewichtet. Folgende Faktoren haben einen Einfluss der Themengewichtung für die Gesamtbewertung der Gemeinwohlpunktzahl (vgl. Blachfellner et al. 2017: 11):
- Unternehmensgröße
- Finanzströme zu und von Lieferant:innen, Geldgeber:innen und Mitarbeitenden
- soziale Risiken in den Herkunftsländern der wichtigsten zugekauften Produkte
- Branche und damit verbundene ökologische und soziale Risiken
4. Nutzen der Gemeinwohlbilanzierung
Wie bereits erwähnt, hat eine Gemeinwohlbilanzierung umfangreiche Wirkungen innerhalb der eigenen Organisation im Sinne einer gemeinwohlorientierten Organisationsentwicklung. Neben dieser Wirkung kann die Gemeinwohlbilanzierung aber auch Wirkungen am Markt und vor allem für die Gesellschaft erzielen (vgl. International Federation for the Economy for the Common Good e. V. 2022c).
Eine Gemeinwohl-Bilanz macht den Beitrag eines Unternehmens zum Gemeinwohl sichtbar. Je mehr ein Unternehmen nach gemeinwohlorientierten Werten handelt, desto mehr Punkte erzielt es in seiner Gemeinwohl-Bilanz. Sie zeigt Aspekte auf, die in einer Handelsbilanz nicht erscheinen, aber für Kund:innen, Mitarbeitende und andere Berührungsgruppen wichtig sind. In der Gemeinwohl-Bilanz schneiden wertorientierte, nachhaltige Unternehmen gut ab. Gemeinwohlorientierte Unternehmen positionieren sich für Kund:innen als ethisch reflektierte Geschäftspartner:innen und für Mitarbeitende als ethisch anspruchsvolle Arbeitgebende.
„Der holistische Ansatz der GWÖ und die Adressierung eines breiten Themenspektrums in der Bilanz sollen das Instrument für Anwender:innen besonders attraktiv machen. Das abgestufte Bewertungsverfahren kommt den unterschiedlichen sozialökologischen Ambitionsniveaus von Unternehmen entgegen und trägt so zur Attraktivität des Instruments bei“ (Heidbrink et al. 2018: 31).
Die Gemeinwohl-Bilanz könnte direkt oder als QR-Code auf Produkten angebracht oder in Unternehmensmedien veröffentlicht werden. Sie kann Teil ihres Alleinstellungsmerkmals sein. Immer mehr Kundinnen und Kunden achten darauf, woher die Produkte kommen. Immer mehr junge Arbeitnehmende wollen bei ethisch anspruchsvollen und transparenten Arbeitgebenden arbeiten. Einmal im Jahr können die GWÖ-Unternehmen ihre Bilanzen oder Bilanzfortschritte auf regionalen Pressekonferenzen präsentieren, die zeitgleich in allen Ländern stattfinden. Die Gemeinwohl-Bilanz soll einen neuen Standard unter den Instrumenten der gesellschaftlichen Unternehmensverantwortung (CSR) setzen und das erste CSR-Instrument der zweiten Generation werden, das tatsächlich Wirkung entfaltet (vgl. Felber 2018).
4.1. Wirkung in der Organisaiton
Die Gemeinwohlbilanzierung trägt zu folgenden Entwicklungen in der Organisaiton bei:
- 360° Nachhaltigkeitsmanagement
- Beziehungsmanagement
- Motivation am Arbeitsplatz
- Innovationsimpulse
Sie hat folgende Wirkung am Markt:
- Attraktivität
- Differenzierbarkeit
- Sichtbarkeit
- Kooperation
- Netzwerk
Sie wirkt auch in die Gesellschft durch:
- gemeinsame Werte
- Lebensqualität
- Erhalt von Natur und Umwelt
- Faire und nachhaltige Produkte