Zum Hauptinhalt

Selbstverständnis und Wertesäulen der Gemeinwohl-Ökonomie

Website: Hamburg Open Online University
Kurs: Einführung in die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ)
Buch: Selbstverständnis und Wertesäulen der Gemeinwohl-Ökonomie
Gedruckt von: Gast
Datum: Dienstag, 2. Dezember 2025, 07:22

Beschreibung

Die GWÖ basiert auf ethischen Grundwerten, die als Säulen des Gemeinwohls gelten: Menschenwürde, Solidarität und soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Transparenz und Mitentscheidung. Diese Werte bilden die Grundlage für nachhaltiges Wirtschaften, das gesellschaftlichen Zusammenhalt fördert und eine lebenswerte Zukunft für alle ermöglicht.

1. Selbstverständnis der GWÖ

Die GWÖ als ganzheitliche Alternative versteht sich als schlüssiges Modell und konsistenten Theorieansatz, als Beteiligungsprozess für alle kooperativen und kreativen Reformwilligen und demokratischen Umsetzungsprozess.

„Auf gesellschaftlicher Ebene wirkt [die GWÖ-Bewegung] ihrem Selbstbild zufolge als ‚Initiative der Bewusstseinsbildung für Systemwandel‘, auf politischer Ebene ‚als Motor für rechtliche Veränderung‘ und auf wirtschaftlicher Ebene als ‚lebbare, konkret umsetzbare Alternative für Unternehmen‘, die den ‚Zweck des Wirtschaftens und die Bewertung von Unternehmenserfolg anhand gemeinwohlorientierter Werte definiert'“ (Meynhardt, Fröhlich 2017).

Die GWÖ geht davon aus, dass die Schaffung von Institutionen und geeigneten Rah­menbedingungen ausreicht, um den negativen Auswirkungen kapitalistischer Märk­te, wie Wachstumszwang, steigender Ungleichheit, Umweltverschmutzung, unzureichendem Mitbestimmungsrecht der Bürger:innen und sozial fragwürdigen Verhaltensmustern (z. B. Rücksichtslosigkeit und Gier), entgegenzuwirken.

2. Unternehmen der (sozialen) Marktwirtschaft und der GWÖ

In den folgenden Darstellungen sind überwiegend derzeitige Unternehmen der (sozialen) Marktwirt­schaft den (zukünftigen) Unternehmen der angestrebten GWÖ, wie z. B. in Felbers Buch „Gemeinwohl-Ökonomie“ (2018) vorgezeichnet, gegenübergestellt. Die Ideen und Forderungen zeigen teilweise Überschneidungen mit anderen sozialökologischen Transformationsansätzen, was im Sinne einer gemeinsamen, sich gegenseitig befruchtenden Suche nach Alternativen zum bestehenden Wirtschaftssystem als durchaus gewollt betrachtet wird.

2.1. Unternehmensziele und Finanzen

 

Derzeitige Unternehmen der (sozialen) Marktwirt­schaft

(zukünftige) Unternehmen der angestrebten GWÖ

Unternehmensziel

  • Gewinnmaximierung vorherrschend
  • Gemeinwohlmehrung: Ziel aller Unternehmen ist es, den größt­möglichen Beitrag zum allgemeinen Wohl zu leisten.

Messung der Zielerreichung

  • Ökonomische Erfolgsmessung: herkömmliche Handelsbilanz
  • ROI für Investitionen (Return On Investment)
  • Gemeinwohlbilanz als unternehmerische Hauptbilanz; herkömmliche Handelsbilanz als Nebenbilanz

Finanzgewinn

  • Gewinn als Hauptziel
  • Gewinn als Mittel zum Zweck
  • Verwendung von Finanzgewinnen, die das Gemeinwohl mindern, werden negativ bewertet (z.B. rein spekulative Finanzinvestments,  Aufkaufen anderer Unternehmen gegen ihren Willen)
  • Verwendungen der Finanzgewinne für sinnvolle Investitionen werden mit Punkten belohnt (z.B. Aufstockung des Eigenkapitals, Ausschüttung an Mitarbeiter*innen)

Kapital

  • Kapital als Mittel zur Gewinnerzielung
  • Kapital als Mittel zur Mehrung des Gemeinwohls

2.2. Menschenbild und Mitarbeitende

 

Derzeitige Unternehmen der (sozialen) Marktwirt­schaft

(zukünftige) Unternehmen der angestrebten GWÖ

Motivation

  • Annahme: Mensch wird in hohem Maß durch Egoismus und Konkurrenz motiviert
  • Streben nach Autonomie, Kompetenz, Beitrag, Gemeinschaft und Beziehung sowie Sinn (Felber 2018: 120)

Arbeitszeit und -entlohnung der Mitarbeitenden

  • Durchgehende Beschäftigung angestrebt, z. B. 40-Stunden-Woche
  • Arbeitslosenunterstützung
  • Die Erwerbsarbeitszeit soll schrittweise auf 30 bis 33 Wochenstunden herabgesetzt werden.
  • Die gewonnene Zeit kann für drei andere zentrale Arbeitsbereiche verwendet werden: Eigenarbeit (Muße, Persönlichkeitsentwicklung), Beziehungs- und Betreuungsarbeit (Kinder, Kranke, Senior:innen), sowie politische und Gemeinwesenarbeit.
  • 4 Karenzjahre
  • Freijahre mit Mindestlohn
  • Solidaritätseinkommen (2/3 des Mindestlohns) oder bedingungsloses Grundeinkommen

Beteiligung der Mitarbeitenden (Macht und Kontrolle im Unternehmen)

  • Ausbaufähige Vorgaben durch das Arbeitsrecht
  • Mit zunehmender Zahl der Mitarbeitenden in Unternehmen erhalten diese zunehmende und weitreichende Mitsprache- bzw. Stimmrechte

2.3. Nachhaltigkeit

 

Derzeitige Unternehmen der (sozialen) Marktwirt­schaft

(zukünftige) Unternehmen der angestrebten GWÖ

Nachhaltigkeitsberichterstattung

  • Unverbindliche, freiwillige Standards
  • EU-Omnibus-Verordnung (Stand 02/2025): u.a. keine Berichtspflicht für Unternehmen unter 1.000 Mitarbeitende
  • Unzulängliche Vergleichbarkeit der Unternehmen außerhalb monetärer Ziele
  • Keine Transparenz
  • Einheitliches Nachhaltigkeitsberichtsformat
  • (angestrebte) Berichtspflicht für alle Unternehmen
  • Messbarkeit und Vergleichbarkeit der Unternehmen
  • Transparenz durch Veröffentlichungspflicht der Gemeinwohl-Bilanz der Unternehmen und Institutionen

Einbindung von Nachhaltigkeit im Unternehmen

  • Corporate Social Responsibility (CSR) ist oft nur an Unternehmen angehängt, nicht integriert
  • Gemeinwohl als integriertes Unternehmensziel auf allen Ebenen

Bewertung von Nachhaltigkeit

  • Selbsteinschätzung ohne Qualitätsnachweis, nur wenige Standards extern auditiert
  • Anerkennung von Nachhaltigkeitsbemühungen nur über Siegel/Label
  • Belohnung/Anreize für erfolgreiche GWÖ-Betriebe
  • Externe Auditierung (keine Selbstbewertung

3. Werte der GWÖ

Bei der GWÖ wird der Zweck des Wirtschaftens anhand gemeinwohlorientierter Werte, wie Vertrauenskultur und selbstorganisierte Arbeitsgestaltung, Kooperation mit Mitunternehmen, Offenheit und Transparenz, definiert. Anstelle der Gewinnma­ximierung wird Gemeinwohl zum Hauptziel unternehmerischen Handelns, anstelle von Wachstum wird Verantwortung für das Wohl von Menschen und Umwelt priorisiert. 

Die vier Werte der Gemeinwohlökonomie von Autor*innenteam GWÖ (CC BY-SA)