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Zwischen Kompetenzerwerb und -entwicklung

Website: Hamburg Open Online University
Kurs: Digital kompetent - ja, aber wie und warum?
Buch: Zwischen Kompetenzerwerb und -entwicklung
Gedruckt von: Gast
Datum: Mittwoch, 15. Januar 2025, 17:43

1. Im Kompetenz-Begriffsdschungel

Wirft man beispielsweise einen Blick in den Bildungsbericht Bildung in Deutschland. kompakt 2020, so stellt man schnell fest, dass gerade die Begriffe Kompetenzerwerb und Kompetenzentwicklung nicht klar voneinander getrennt werden:

Kompetenzerwerb Beispiel 1 Kompetenzerwerb Beispiel 2
Kompetenzentwicklung
"So werden auch die eigenen Fähigkeiten, digitale Medien in einer Art und Weise einzusetzen, die über traditionelle Lernformen hinausgeht, von den Fachkräften tendenziell gering eingeschätzt. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Vermittlung von pädagogischem und anwendungsbezogenen Wissen über digitale Technologien in der Ausbildung bislang nur bei den Fachkräften der beruflichen Ausbildung eine größere Rolle spielt. Häufig werden digitale Kompetenzen informell erworben, etwa durch Selbststudium oder im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen." "Insbesondere in den Schulen, aber auch in der Kindertagesbetreuung fehlt es vielerorts noch an der technischen Ausstattung, um die Lehr-Lern-Gestaltung digital zu unterstützen und den Erwerb digitaler Kompetenzen zu ermöglichen." "Informelle Lernaktivitäten, die z.B. die Entwicklung digitaler Kompetenzen und die Anpassung an andere Veränderungsprozesse unterstützen, werden von 45% der Bevölkerung zwischen 16 und 69 Jahren realisiert."



Da die Begriffe Kompetenzerwerb und Kompetenzentwicklung allerdings nicht nur im alltäglichen Sprachgebrauch, sondern auch in ihrer theoretischen Verortung nah beieinander liegen, werden diese auf den folgenden Seiten wissenschaftlich hergeleitet.

Sehen wir uns zunächst einmal an, was eigentlich hinter dem Begriff Kompetenzerwerb steckt. Nach Eberhard Jung (2010) sind die Begriffe Kompetenzerwerb, Kompetenzentwicklung und Kompetenzvermittlung eng miteinander verbunden. Er definiert den Kompetenzerwerb dabei als Überbegriff, der "quantitative und/oder qualitative Zunahmen im kompetenten Verhalten" (ebd.: 4) beschreibt. Die Kompetenzvermittlung und die -entwicklung sind diesem Überbegriff untergeordnet und unterscheiden sich durch die Aneignungsformen, wobei "Kompetenzvermittlung [...] einen eher angeleiteten, die Kompetenzentwicklung einen eher selbstgesteuerten Prozess [beschreibt]" (ebd.).

Für den Kompetenzerwerb hat Jung konkrete Elemente definiert, die unabdingbar sind. Zum einen gehört dazu das Organisieren innerer Befähigungen für "den zielgerichteten und koordinierten (selbst organisierten) Erwerb" (Jung 2010: 13) und zum anderen der "Einsatz und die Weiterentwicklung von Aspekten des Wollens (Bereitschaft, Motivation), des Wissens (Fähigkeiten, Kenntnisse) und Könnens (Fertigkeiten)" (ebd.). Diesen Prozess skizziert Jung in der folgenden Abbildung und differenziert dabei sogenannte Bewältigungsschritte im Kompetenzerwerb:

Abbildung
Kompetenzerwerb in Bewältigungsschritten

Weitere Informationen


2. Kompetenzerwerb im Kompetenzbereich

Was bedeutet diese definitorische Annäherung an den Begriff Kompetenzerwerb nun, wenn es darum geht, für den gewählten (Teil-)Kompetenzbereich bestehende Angebote zu kuratieren? Zur Erinnerung: Für den Kompetenzbereich "4.2. Lern-Evidenzen analysieren" wurde im dritten Modul folgende verdichtete Beschreibung entwickelt:

Verdichtete Beschreibung


Lehrkräfte erheben digitale Informationen und Daten zum Lernen ihrer Schüler:innen, um auf Basis der daraus gewonnen Erkenntnisse ihren Unterricht zu planen. Dabei werden Informationen zum Lernverhalten, genauer gesagt zum Prozess des Erwerbs von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, zu den Ergebnissen der Lernprozesse in Form von Leistungskontrollen sowie zur Entwicklung der Lernprozesse erfasst. Entsprechend zuvor definierter Kriterien reflektieren und bewerten Lehrkräfte die erhobenen Informationen und Daten, um diese im Zuge der Interpretation für die Unterrichtsplanung berücksichtigen zu können. Bei der Planung von Unterricht nutzen Lehrkräfte die analysierten Daten zu den Lernprozessen ihrer Schüler:innen und berücksichtigen diese bei der Auswahl von Methoden und Medien, um für alle Schüler:innen einen Raum zu gestalten, in dem Lernprozesse bestmöglich unterstützt werden.

Wenn es beim Kompetenzerwerb darum geht, dass ich als (angehende) Lehrkraft einerseits ein Ziel für meinen eigenen Kompetenzzuwachs brauche und diesen selbst organisieren kann und andererseits die entsprechende Motivation, das notwendige Wissen und auch die benötigten Fertigkeiten besitzen muss, bedeutet das für uns im Kompetenzerwerb zur Analyse von Lern-Evidenzen folgendes:

Bewältigungsschritte Anwendung auf Teilkompetenzbereich 4.2.
1. Herausforderungen wahrnehmen Wenn, wie in Zeiten von Corona, Lernprozesse über digitale Medien abgebildet werden, ist es schwieriger den Unterricht so zu gestalten, dass alle Lernenden auf ihrem Lernstand abgeholt werden.
2. Ziele entwickeln Lernprozesse sollen gemessen werden, um diese entsprechend fördern und unterstützen zu können.
3. Erwerb von Befähigungen Um die entsprechenden Befähigungen zu erwerben, müssen wir zuerst verstehen, wie Datenanalysen im Rahmen von Lehr- und Lernszenarien funktionieren (Was kann gemessen werden und mit welchen Methoden und Mitteln?). Eine Möglichkeit dafür bieten bspw. Online-Kurse zu Datenanalyse (z.B. über die Plattform edX). Um zu lernen, welche Daten mit dem genutzten System erfasst und analysiert werden können, können wir an speziellen Schulungen zu dem entsprechenden System teilnehmen.
4. Einsatz entwickelter Potenziale Wenn wir wissen, wie wir beispielsweise den Kompetenzzuwachs im Bereich Medienkritik mit dem von uns gewählten System messen können, können wir entsprechende Maßnahmen umsetzen, um dies auszuprobieren. Für den Anfang entwickeln wir dazu entsprechende Quiz, später setzen wir vermehrt Portfolio-Arbeit ein. Die erhobenen Daten werden anschließend exportiert und mit dem Programm R Studio analysiert.
5. Bewältigung der Herausforderungen Auf Basis der Analyse können wir unseren Unterricht entsprechend planen: Wenn die Analyse zeigt, dass viele Lernende noch Schwierigkeiten haben, die Informationen, mit denen sie konfrontiert werden, kritisch zu hinterfragen, kann dafür eine entsprechende Lerneinheit entwickelt werden, in der Lernende lernen, Quellen zu beurteilen, Argumentationslinien zu erkennen und nachzuvollziehen und diese Informationen mit anderen in Verbindung zu setzen.
6. Reflexion Im letzten Schritt prüfen wir, inwiefern die Weiterentwicklung unseres Unterrichts auf Basis der Datenanalyse tatsächlich der Unterrichtsentwicklung im Sinne der Lernendenorientierung dient. Dafür führen wir einerseits einen offenen Diskurs mit den Lernenden dazu und machen andererseits eine anonyme Befragung unter den Lernenden. Auch hinterfragen wir, inwiefern wir bereits alle notwendigen Daten erheben oder es noch andere Daten braucht, um die Lernprozesse unserer Lernenden besser verstehen zu können.
Gruppenarbeit

Mit einigen der von Jung genannten Aspekte, wie dem Ziel und der Motivation, habt Ihr Euch bereits im dritten Modul beschäftigt, als Ihr den von Euch gewählten (Teil-)Kompetenzbereich erklärt habt. Aber wie sieht es in Bezug auf das benötigte Wissen und die Fertigkeiten aus: Welches Wissen und Können wird benötigt, um im gewählten (Teil-)Kompetenzbereich kompetent handeln zu können?
Und auch die Frage der Selbstorganisation ist zu berücksichtigen: Wie könnt Ihr als angehende Lehrkräfte Euren Kompetenzerwerb bestmöglich selbst strukturieren? Reflektiert Eure Ideen dazu in Eurer Gruppe.

Wie schon gesagt handelt es sich nach Jung (2010) bei Kompetenzerwerb um einen Übergriff, zu dem einerseits die Kompetenzentwicklung und andererseits die Kompetenzvermittlung zählen. Da in diesem Modul der individuelle Kompetenzzuwachs im Vordergrund steht, klammern wir den Begriff der Kompetenzvermittlung für den Moment aus; dieser wird im fünften Modul tiefer gehend behandelt. Nach Jung ist Kompetenzentwicklung nur möglich, wenn diese vom Individuum oder von der Gruppe selbst angestrebt werden, eine Kompetenzentwicklung von außen gibt es nicht. Er unterscheidet dabei zwischen qualitativen und quantitativen Aspekten innerhalb dieser Prozesse, wobei er Kompetenzentwicklung grundlegend eher als qualitative Prozesse versteht, da sie "qualitative Veränderungen von kognitiven Strukturen wie z.B. die Befähigung auf Herausforderungen mit verschiedenen Lösungsstrategien (flexibel) zu reagieren oder Probleme optimierend zu lösen" (Jung, 2010, S. 29) adressieren. Die quantitativen Aspekte beziehen sich auf die Menge und die Komplexität der Herausforderungen, die man durch Kompetenzzuwachs bewältigen kann, sowie auf das größere Wissen und Können, was dafür benötigt wird. Um es mit den Worten von Dieter Gnahs zu sagen: Kompetenzentwicklung ist das "Schlüsselelement zur Gestaltung der Zukunft" (Gnahs, 2007, S. 12). Um genau diesen selbstgesteuerten Kompetenzerwerb, also die eigene Kompetenzentwicklung voranzutreiben, schauen wir uns im Folgenden an, welche Möglichkeiten und Angebote es dafür schon gibt und wie wir diese nutzen können.