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Was kann die Stadt tun?!

Website: Hamburg Open Online University
Kurs: Mobilität findet Stadt
Buch: Was kann die Stadt tun?!
Gedruckt von: Gast
Datum: Montag, 16. September 2024, 22:08

Beschreibung

Du fragst dich nun sicher, wie diese Ziele umgesetzt werden können. Wir schauen uns genauer an, welche Strategien und Instrumente die Städte nutzen können, um die Mobilitätswende voranzubringen.

1. Integrierter Verkehrsentwicklungsplan

Kurz gefasst ist ein Verkehrsentwicklungsplan ein freiwilliges städtisches Planungsverfahren, das dazu dient, Maßnahmen zu entwickeln, Ideen und Lösungsansätze zu bewerten und daraus ein Handlungskonzept abzuleiten, um die Mobilität in der Zukunft zu gewährleisten. Integriert bedeutet, dass alle Aspekte, die mit Verkehr und Mobilität in Wechselwirkung stehen, betrachtet werden - z.B. Klimaschutz, Luftreinhaltung und Lärmbelastung aber auch Sicherheit der Verkehrsteilnehmenden. Der Prozess dauert 3 Jahre und ist in drei Phasen unterteilt.
In der ersten Phase wurden die Zustände analysiert, also wie der heutige Verkehr in Hamburg aussieht und die Herausforderungen ausformuliert. Alle existirende Maßnahmen sind zusammengetragen worden und mit dem Leitbild “Mobilität in Hamburg” und darin formulierten Zielen abgegliechen.

Die zweite Phase befasst sich mit der Szenarienbildung und den Maßnahmen für die verschiedenen Handlungsfelder Fußverkehr, Radverkehr, ÖPNV, SPNV und MIV entwickelt. Die Szenarien zeigen eine wahrscheinliche, eine wenig sowie eine besonders wünschenswerte Entwicklung auf sowie welche Maßnahmen dafür benötigt werden.

In der dritten Phase wird ein Zielszenario festgelegt und daraus ein Handlungskonzept erstellt. In dem Handlungskonzept werden die empholene Maßnahmen und Strategien vorgeschlagen, um die Ziele zu erreichen.

Mehr dazu findest du unter: https://www.hamburg.de/bvm/verkehrsentwicklungsplanung/


2. Push- & Pull-Maßnahmen

 

Es gibt verkehrspolitische Strategien und Instrumente, auf die eine Stadt oder Kommune zurückgreifen kann, um proaktiv das Mobilitätsverhalten der Nutzer:innen zu beeinflussen: die Push- & Pull-Maßnahmen.

Pull-Maßnahmen “ziehen” Menschen zu einem bestimmten Angebot, z.B. zu einer bestimmten Verkehrsart hin. Ein Beispiel: Werden in einer Stadt protected bike lanes gebaut und überall Radabstellanlagen geschaffen, so werden potenzielle Nutzer:innen zum Radverkehr hingezogen, denn er wird attraktiver. Die Wirkung dieser Maßnahmen baut auf Angebotsverbesserung und Freiwilligkeit und ist somit von der Akzeptanz der Nutzer:innen abhängig.

Push-Maßnahmen hingegen sorgen für einen gegenteiligen, restriktiven Effekt: Eine Möglichkeit wird unattraktiver gemacht. Sie beeinflussen direkt das Mobilitätsverhalten und werden besonders für die Zielstellungen Verkehrsverlagerung und Verkehrsvermeidung eingesetzt. Ein Beispiel ist die City-Maut in vielen europäischen Städten: Ein System, bei dem für die Benutzung der innerstädtischen Straßeninfrastruktur bezahlt werden muss, um so der Staubildung zu den Stoßzeiten entgegenzuwirken. Auch die Parkraumbewirtschaftung, also die Einführung von Gebühren für das Parken im öffentlichen Raum, ist so eine Push-Maßnahme. Zu Push-Maßnahmen zählt allerdings nicht nur die Verteuerung des MIV, sondern auch die generelle Verknappung von Parkplätzen, indem diese ersatzlos gestrichen und umgewidmet werden. Der gewonnene Platz kann dem Rad- und Fußverkehr zugeschlagen oder anderweitig, z.B. als Außenfläche für die Gastronomie genutzt werden. Auch eine Bepflanzung, um den bebauten Stadtraum zu kühlen und die Luftqualität zu verbessern, ist eine gute, zukunftsgewandte Umnutzungsmöglichkeit.

Push und Pull Maßnahmen von Anja Berestetska (CC BY)
 

Verkehrspolitisch ist es sinnvoll, eine Lenkungswirkung weg vom privaten Pkw und hin zu umweltfreundlichen Verkehrsträgern zu erreichen. Die größte Wirksamkeit der Maßnahmen wird bei gezielter Kombination von Push und Pull erreicht. So kann gewährleistet werden, dass Bürger:innen, die ihren privaten Pkw beispielsweise aufgrund der Verteuerung von Parkraum abschaffen wollen, auch ein alternatives Mobilitätsangebot erhalten.

Übrigens, es wird gerade eine ganz besondere Pull-Maßnahme geplant: Das sogenannte “Deutschlandticket”, der Nachfolger von 9-Euro-Ticket, also ein bundesweit für den Nahverkehr gültiges, einheitliches Ticket für 49,- € pro Monat (voraussichtlich verfügbar ab 1.3 oder 1.4.2023). Der Mobilitäts-Preis wird für viele Menschen also sehr deutlich sinken. Auch die entscheidende Vereinfachung der Nutzbarkeit hat hier eine riesige Pull-Wirkung: Wer z.B. in Hannover lebt und ein Wochenende in München verbringen will, muss sich nun nicht mehr mit den dortigen Tarifstrukturen und Verbundgrenzen auseinandersetzen, sondern kann ALLE Verkehrsmittel des öffentlichen Verkehrs wie Straßenbahnen, U-Bahnen, S-Bahnen und Busse einfach nutzen, ohne Gedanken an das richtige Ticket oder den günstigsten Preis zu verschwenden.

Falls du tiefer in das Thema von Push-& Pull-Maßnahmen eintauchen möchstest, folge der Website des Forschungsprojektes Push und Pull am Institut für Verkehsplanung und Logistik der TU Hamburg: https://www2.tuhh.de/pushundpull/2022/11/03/blog-1/

3. Verkehrsversuche/Verkehrsexperimente

Die Mobilitätswende erfordert einen grundlegenden Wandel der Herangehensweise der Mobilitätsplanung. Ein Instrument, das Städten und Kommunen dabei helfen kann, neue Lösungen in der Realität zu erproben, ist ein Verkehrsexperiment oder Verkehrsversuch. Verkehrsexperimente schaffen in der Stadt einen temporären Testraum für die Mobilitätswende, um neue Lösungsansätze auszuprobieren, sie anzupassen und Schritt für Schritt weiterzuentwickeln. Ein Verkehrsversuch entsteht durch die Kooperation von unterschiedlichen städtischen Akteur:innen aus Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. So wird der öffentliche Diskurs darüber angeregt, wie die Stadt und ihre Raumverteilung zukünftig aussehen soll.

Grob lassen sich die Verkehrsexperimente je nach Durchführungszeit in zwei Kategorien unterteilen:

  1. Temporäre Aktionen, wie der „Parking Day“, autofreie Tage auf bestimmten Straßen oder „Spielstraßen auf Zeit“. Sie dauern in der Regel einige Stunden bis maximal wenige Tage und werden von NGOs, Bürger:innen, Vereinen und Initiativen organisiert.

  2. Langfristige/permanente Aktionen, mit denen die Auswirkungen, der Nutzen sowie die Folgen der verkehrsregelnden Maßnahmen über eine längere Zeit erfasst und evaluiert werden. Die Dauer variiert zwischen mehreren Wochen, wie z. B. das Verkehrsexperiment «Brings uf d’Strass!»  in Zürich und mehreren Monaten und kann mehrere Straßenzüge oder Quartiere umschließen.
    (https://www.youtube.com/watch?v=iUaRK5k_BNU)

Ein Verkehrsexperiment nimmt so manche Ängste vor Veränderung und macht Neues erfahrbar. Es zeigt positive Aspekte der Verkehrswende sowie die Möglichkeiten, die Straßenräume innehaben, wenn das Auto das Straßenbild nicht mehr dominiert: attraktive öffentliche Räume, frische Luft, weniger Lärm und Verkehrssicherheit. Die Einwohner:innen und Verkehrsteilnehmer:innen fühlen sich in die langfristige Planung einbezogen. Gleichzeitig gibt die zeitliche Beschränkung allen die Zuversicht, dass das Altgewohnte nicht gleich abgeschafft wird. Dies spielt eine positive Rolle bei der Akzeptanz solcher Experimente. Ein Verkehrsexperiment gelingt am besten, wenn die Kommunikation zwischen verschiedenen Akteur:innen von Anfang an eine Schlüsselrolle spielt.

Kennst du ein oder anderes Verkehrsexperiment in Hamburg bereits? In den letzten Jahren gab es einige, z. B. autofreies Rathausquartier, klimafreundliches Lokstedt, autoarmer Jungfernstieg. Das wahrscheinlich bekannteste Verkehrsexperiment bisher war „Ottensen macht Platz“.

3.1. Ottensen macht Platz

Zwischen September 2019 und Januar 2020 wurden im Hamburger Quartier Ottensen ca. 800 m Straßenlänge in drei Straßen zu einer temporären Fußgängerzone umgestaltet, mit dem Ziel, zu zeigen und zu erleben, dass Mobilität nicht immer mit dem Auto stattfinden muss und der öffentliche Raum viel mehr sein kann als eine kostenlose Autoabstellfläche.

Stadtkarte von Ottensen
Ottensen macht Platz von Bezirksamt Altona (CC BY)

 

 

Straßenfest
Ottensen macht Platz Straßenfest von Anja Berestetska (CC BY)

 

Während dieser Monate gab es verschiedene Aktionen, Beteiligungsformate und genug Zeit, sich mit dem Raum neu auseinanderzusetzen und ihn anzueignen.

Stadt Ottensen Fußgängerzone
Ottensen macht Platz Stadt von Anja Berestetska (CC BY)

Die Nutzer:innen (Anwohner:innen, Gewerbetreibende, Passant:innen) wurden zu Ihrer Erfahrung mit dem autofreien Quartier befragt und es wurden Verkehrsmessungen durchgeführt. Am Ende haben mehr als 70 % Prozent der Befragten das Projekt als positiv bewertet. Die positiven Erkenntnisse führten zu einer Entscheidung der Bezirksversammlung Altona, eine dauerhafte Umgestaltung des Untersuchungsgebiets zu einem autoarmen Quartier vorzunehmen. Das Nachfolgeprojekt „FreiRaum Ottensen“ setzt den Wunsch nach dem autoarmen Quartier nun konsequent und gemeinsam mit den Nutzer:innen um.

4. Von anderen Städten lernen

Jetzt hast du schon einige theoretische Ziele und nützliche Instrumente und Strategien für die Mobilitätswende kennengelernt. Doch wie kann die Mobilitätswende ganz praktisch aussehen? Dazu gibt es viele verschiedene planerische und politische Konzepte, von denen wir dir im Folgenden einige vorstellen möchten. Klick einfach auf die einzelnen Punkte auf der Karte und finde heraus, welche Lösungen in Europa schon ausprobiert werden, um Mobilität nachhaltiger, gerechter und sicherer zu gestalten!

Mobilitätskonzept für Europa von Corinna Endreß (CC BY)

 

 

4.1. Utopie oder Realität: Die Diskussionsrunde

Jetzt hast du eine kleine Reise durch die Städte und inspirierende Projekte gemacht und fragst dich vielleicht, warum diese Ideen nicht schon längst überall angewendet werden?

Die Umsetzung der Maßnahmen ist ohne Kritik und kontroverse Diskusionen nicht denkbar. Was oft auf dem Papier oder an einem konkreten Beispiel gut aussieht, löst bei der Umsetzung oft Probleme aus.

Betrachten wir die Konzepte der 15-Minuten-Stadt oder der Superblocks, so kommen berechtigterweise die Fragen nach der Verkehrsverlagerung und nach Gentrifizierung auf.

Beim kostenfreien ÖPNV stellte sich heraus, dass viele Menschen das kostenfreie Angebot für Wege nutzten, die sie vorher zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt haben; nur ein kleiner Teil der neuen Fahrten hat eine Autofahrt ersetzt. Für einen Umstieg vom Auto auf den ÖPNV reicht der niedrige oder wegfallende Preis allein auch nicht aus. Das Angebot muss planbar und zuverlässig sein. Sicherheit und Sauberkeit ist für viele Nutzende sehr wichtig. Aber am entscheidendsten ist eine gute Linienführung in weite Teil der Stadt/Gemeinde.

Das Umdenken von einer “autogerechten Stadt” in die “lebenswerte Stadt” ist ein Prozess, der Zeit, Mut, Ressourcen, Kommunikation und Kooperation diverser Akteur:innen und politischen Wille braucht. Ein Konzept, eine Maßnahme oder eine Idee sollten daher nicht als Wunderheilmittel betrachtet werden, stattdessen braucht es eine kritische Auseinandersetzung, damit sich die Maßnahmen bewehren können oder um sie zu widerlegen.

5. Mobilitätstrends

Zum Abschluss unserer Reise in die Welt der Mobilität wollen wir einen Blick in die Zukunft werfen. Welche Trends, die heute schon sichtbar sind oder es in wenigen Jahren sein werden, bestimmen in Zukunft unsere Art der Fortbewegung?

Mobilitätstrends von Corinna Endreß (CC BY)