Zur Ideengeschichte der Gemeinwohl-Ökonomie
2. Heutige Betrachtungen
Die Idee des Gemeinwohls findet sich auch heute noch in einschlägigen Verfassungstexten der Länder wie des Bundes wieder (vgl. Felber 2018). Da Kosmos und Gott als allgemeingültige Garantiemächte weggefallen sind, konstatierte der US-amerikanische Philosoph John Rawls in den 1990er-Jahren für westliche Gesellschaften das „Faktum des Pluralismus“, das Ausdruck einer Vielzahl von z. T. unvereinbaren ethischen Überzeugungen oder metaphysischer Weltbilder ist (vgl. Heidbrink et al. 2018). Das Faktum des Pluralismus konnte erst durch den besonderen Schutz der Freiheitsrechte des Individuums bzw. der Menschenrechte etabliert werden, wie sie zuerst in der Französischen Revolution erkämpft wurden und fortan Eingang in die demokratische Verfassungsgeschichte gefunden haben.
Pluralismus und die mit ihm einhergehenden Individualrechte werden vom deutschen Rechtsstaat anerkannt. Da der Begriff des Gemeinwohls zu den Individualrechten in Opposition steht, kommt er in Verfassungstexten nur in Form eines sogenannten „unbestimmten Rechtsbegriffs“ vor, zu dessen Bestimmung es immer eines konkreten Einzelfalls bedarf. Bei der im Einzelfall vorzunehmenden inhaltlichen Bestimmung orientiert sich die Rechtsprechung an den Gemeinwohlwerten des Grundgesetzes, wie etwa Menschenwürde, Solidarität, soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Frieden, Freiheit, Rechtssicherheit und Wohlstand. Angesichts der menschenrechtlichen Garantie individueller Freiheitsrechte sowie des Wertepluralismus ist es unter Modernebedingungen also nahezu unmöglich, sich demokratisch auf einen substanziell bestimmten Begriff des Gemeinwohls wie auf jedes andere verbindliche Ziel des guten Lebens zu einigen.