Zwischen Kompetenzerwerb und -entwicklung
2. Kompetenzerwerb im Kompetenzbereich
Was bedeutet diese definitorische Annäherung an den Begriff Kompetenzerwerb nun, wenn es darum geht, für den gewählten (Teil-)Kompetenzbereich bestehende Angebote zu kuratieren? Zur Erinnerung: Für den Kompetenzbereich "4.2. Lern-Evidenzen analysieren" wurde im dritten Modul folgende verdichtete Beschreibung entwickelt:
Verdichtete Beschreibung
Lehrkräfte erheben digitale Informationen und Daten zum Lernen ihrer Schüler:innen, um auf Basis der daraus gewonnen Erkenntnisse ihren Unterricht zu planen. Dabei werden Informationen zum Lernverhalten, genauer gesagt zum Prozess des Erwerbs von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, zu den Ergebnissen der Lernprozesse in Form von Leistungskontrollen sowie zur Entwicklung der Lernprozesse erfasst. Entsprechend zuvor definierter Kriterien reflektieren und bewerten Lehrkräfte die erhobenen Informationen und Daten, um diese im Zuge der Interpretation für die Unterrichtsplanung berücksichtigen zu können. Bei der Planung von Unterricht nutzen Lehrkräfte die analysierten Daten zu den Lernprozessen ihrer Schüler:innen und berücksichtigen diese bei der Auswahl von Methoden und Medien, um für alle Schüler:innen einen Raum zu gestalten, in dem Lernprozesse bestmöglich unterstützt werden.
Wenn es beim Kompetenzerwerb darum geht, dass ich als (angehende) Lehrkraft einerseits ein Ziel für meinen eigenen Kompetenzzuwachs brauche und diesen selbst organisieren kann und andererseits die entsprechende Motivation, das notwendige Wissen und auch die benötigten Fertigkeiten besitzen muss, bedeutet das für uns im Kompetenzerwerb zur Analyse von Lern-Evidenzen folgendes:
Bewältigungsschritte | Anwendung auf Teilkompetenzbereich 4.2. |
1. Herausforderungen wahrnehmen | Wenn, wie in Zeiten von Corona, Lernprozesse über digitale Medien abgebildet werden, ist es schwieriger den Unterricht so zu gestalten, dass alle Lernenden auf ihrem Lernstand abgeholt werden. |
2. Ziele entwickeln | Lernprozesse sollen gemessen werden, um diese entsprechend fördern und unterstützen zu können. |
3. Erwerb von Befähigungen | Um die entsprechenden Befähigungen zu erwerben, müssen wir zuerst verstehen, wie Datenanalysen im Rahmen von Lehr- und Lernszenarien funktionieren (Was kann gemessen werden und mit welchen Methoden und Mitteln?). Eine Möglichkeit dafür bieten bspw. Online-Kurse zu Datenanalyse (z.B. über die Plattform edX). Um zu lernen, welche Daten mit dem genutzten System erfasst und analysiert werden können, können wir an speziellen Schulungen zu dem entsprechenden System teilnehmen. |
4. Einsatz entwickelter Potenziale | Wenn wir wissen, wie wir beispielsweise den Kompetenzzuwachs im Bereich Medienkritik mit dem von uns gewählten System messen können, können wir entsprechende Maßnahmen umsetzen, um dies auszuprobieren. Für den Anfang entwickeln wir dazu entsprechende Quiz, später setzen wir vermehrt Portfolio-Arbeit ein. Die erhobenen Daten werden anschließend exportiert und mit dem Programm R Studio analysiert. |
5. Bewältigung der Herausforderungen | Auf Basis der Analyse können wir unseren Unterricht entsprechend planen: Wenn die Analyse zeigt, dass viele Lernende noch Schwierigkeiten haben, die Informationen, mit denen sie konfrontiert werden, kritisch zu hinterfragen, kann dafür eine entsprechende Lerneinheit entwickelt werden, in der Lernende lernen, Quellen zu beurteilen, Argumentationslinien zu erkennen und nachzuvollziehen und diese Informationen mit anderen in Verbindung zu setzen. |
6. Reflexion | Im letzten Schritt prüfen wir, inwiefern die Weiterentwicklung unseres Unterrichts auf Basis der Datenanalyse tatsächlich der Unterrichtsentwicklung im Sinne der Lernendenorientierung dient. Dafür führen wir einerseits einen offenen Diskurs mit den Lernenden dazu und machen andererseits eine anonyme Befragung unter den Lernenden. Auch hinterfragen wir, inwiefern wir bereits alle notwendigen Daten erheben oder es noch andere Daten braucht, um die Lernprozesse unserer Lernenden besser verstehen zu können. |
Mit einigen der von Jung genannten Aspekte, wie dem Ziel und der Motivation, habt Ihr Euch bereits im dritten Modul beschäftigt, als Ihr den von Euch gewählten (Teil-)Kompetenzbereich erklärt habt. Aber wie sieht es in Bezug auf das benötigte Wissen und die Fertigkeiten aus: Welches Wissen und Können wird benötigt, um im gewählten (Teil-)Kompetenzbereich kompetent handeln zu können?
Und auch die Frage der Selbstorganisation ist zu berücksichtigen: Wie könnt Ihr als angehende Lehrkräfte Euren Kompetenzerwerb bestmöglich selbst strukturieren? Reflektiert Eure Ideen dazu in Eurer Gruppe.
Wie schon gesagt handelt es sich nach Jung (2010) bei Kompetenzerwerb um einen Übergriff, zu dem einerseits die Kompetenzentwicklung und andererseits die Kompetenzvermittlung zählen. Da in diesem Modul der individuelle Kompetenzzuwachs im Vordergrund steht, klammern wir den Begriff der Kompetenzvermittlung für den Moment aus; dieser wird im fünften Modul tiefer gehend behandelt. Nach Jung ist Kompetenzentwicklung nur möglich, wenn diese vom Individuum oder von der Gruppe selbst angestrebt werden, eine Kompetenzentwicklung von außen gibt es nicht. Er unterscheidet dabei zwischen qualitativen und quantitativen Aspekten innerhalb dieser Prozesse, wobei er Kompetenzentwicklung grundlegend eher als qualitative Prozesse versteht, da sie "qualitative Veränderungen von kognitiven Strukturen wie z.B. die Befähigung auf Herausforderungen mit verschiedenen Lösungsstrategien (flexibel) zu reagieren oder Probleme optimierend zu lösen" (Jung, 2010, S. 29) adressieren. Die quantitativen Aspekte beziehen sich auf die Menge und die Komplexität der Herausforderungen, die man durch Kompetenzzuwachs bewältigen kann, sowie auf das größere Wissen und Können, was dafür benötigt wird. Um es mit den Worten von Dieter Gnahs zu sagen: Kompetenzentwicklung ist das "Schlüsselelement zur Gestaltung der Zukunft" (Gnahs, 2007, S. 12). Um genau diesen selbstgesteuerten Kompetenzerwerb, also die eigene Kompetenzentwicklung voranzutreiben, schauen wir uns im Folgenden an, welche Möglichkeiten und Angebote es dafür schon gibt und wie wir diese nutzen können.